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37Umgang mit Texten und Medien Land in Sicht! den Kopf zwischen die Schultern und läuft. Er ist gut im Training. Die Strecke schafft er in drei Minuten. Höchstens. Und schließlich, denkt Manu, was ist schon gewesen. Ihre Bierdosen haben sie aufgerissen, ihre Mäuler auch. Noch nicht mal Glatzen haben sie gehabt, noch nicht mal Springerstiefel, irgendwie völlig normal. Müsste einem fast peinlich sein, dass man sich da gleich so aufregt. Schließlich haben sie früher auch schon geredet. Solange er denken kann schon. Aber früher haben sie eben noch keine Menschen angezündet, das macht einen Unterschied. Jetzt kann man ihnen glauben, was sie sagen. „Ey, guck mal, die Dachpappe“, hat einer gesagt. Offene Jacke, Pickel rechts am Kinn. Da saßen sie schon lange mit ihm im Abteil, zu dritt, hatten längst ihre Bierdosen geöffnet. Hatten gerülpst und die Beine von sich gespreizt, hatten sich über die missbilligenden Blicke der Alten gefreut und über die Jungen, die taten, als sähen sie nichts. Angestrengt. Und plötzlich war Rülpsen nicht mehr genug. „Ey, guck mal, die Dachpappe! Darf der seinen schwarzen Arsch auf deutsche Bänke setzen?“ „Genau!“, sagte der Nächste; klein, ein bisschen dick, ein deutscher Mann. Sah in die Richtung, in der Manu saß und tat, als läse er Stephen King. „Und später setzen sich da wieder deutsche Frauen hin, was? Wo der mit seinem Kaffernarsch …“ Zwei Männer mit Aktenkoffern und Gesichtern von Taubblinden drängten sich an den dreien vorbei und stiegen aus der Bahn. Noch zwei Haltestellen bis zu Hause. „He, Dachpappe! Arsch hoch, aber bisschen rucki, zucki!“ Manu sah erstaunt, wie weiß seine Fingerknöchel waren, so fest hielt er jetzt das Buch. Bisher war noch alles ganz harmlos. Bei Stephen King kam das Grauen immer erst langsam. „Du nix deutsch, oder was? Du nur Uga-Uga, bum-bu?“ Wenn sie lachten, war es erst mal gut. Wenn sie sich auf die Schenkel schlugen, war es gut, so lange waren sie zufrieden. So lange mussten sie nicht zu ihm kommen und tun, was sie nun tun wollten und wovon sie vielleicht noch nicht einmal wussten, was es sein würde. Das würde sich dann schon ergeben. „Nächte Haltestelle …“, sagte der Lautsprecher. Wenn er hier ausstieg, war er in Sicherheit. Er konnte die nächste Bahn abwarten und das letzte Stück zwanzig Minuten später fahren. Aber wenn er hier ausstieg, war er vielleicht mit den dreien auf dem dunklen Bahnsteig allein. Eine alte Frau ging langsam zur Tür. Stieg über die weit in den Gang gestreckten Beine, sah niemanden an, hielt krampfhaft ihre Tasche. In der offenen Tür drehte sie sich noch einmal um. „Schämen solltet ihr euch, schämen!“, rief sie. Ihre Stimme war klein und dünn, und die drei schlugen sich auf die Schenkel. „Tun wir ja, Oma, tun wir ja!“, schrie der mit der offenen Jacke. Um sie herum starrten die Leute aus dem Fenster. Manche hatten das Glück, in ihre Zeitung sehen zu können. „Ich hab’ gehört, Dachpappe brennt gut“, sagte der mit der Jacke und rülpste wieder. „Was? Brennt tierisch gut, der Scheiß!“ Manu stand langsam auf. Der Lautsprecher sagte die Station an, gleich war er angekommen. „Guck mal, kann doch deutsch, der Kaffer“, sagte der Kleine. „Und jetzt putz die Bank mal schön sau45 50 55 60 65 70 75 80 Nu r z P rü fzw ck en Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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