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M1 Der Protest in der Rosenstraße – Beispiel erfolgreichen Widerstandes gegen das NS-Regime? Der Berliner Historiker Wolf Gruner, der sich jahrelang intensiv mit der Aufarbeitung der Ereignisse in der „Rosenstraße“ beschäftigt hat, kommt zu folgendem Ergebnis: Es wurde in den Medien des Öfteren die Meinung vertreten, eine Darstellung, die den Erfolg des Protestes bezweifelt, stelle den Mut der Protestierenden in Frage. Das ist aus zwei Gründen falsch: 1. Die Courage der einzelnen Beteiligten wird überhaupt nicht bestritten. 2. Die Frage nach dem Erfolg oder Misserfolg der beteiligten Menschen ist völlig irrelevant für die Bewertung der Ereignisse und ihre Charakterisierung als Widerstand. Auch die Protestaktion selbst wird durch eine Relativierung des Erfolges überhaupt nicht entwertet, wie beklagt worden ist. Im Gegenteil, die vor dem Gebäude in der Rosenstraße Versammelten ahnten von den wirklichen Plänen der Gestapo nichts. Angesichts der mit großer Brutalität durchgeführten Großrazzia mussten sie eine Deportation ihrer Angehörigen befürchten, wogegen sie mutig protestierten. […] Ein Problem stellen lediglich die Schlussfolgerungen dar, die heute aus dem angenommenen Erfolg des Protestes in der Rosenstraße von Forschung und Öffentlichkeit gezogen werden: Hätten mehr Menschen so protestiert, hätte man die NS-Judenverfolgung bzw. -vernichtung aufhalten können! Doch in der Rosenstraße leisteten Menschen in der allerletzten Phase der Massendeportationen Widerstand. Sie wollten ihre jüdischen Angehörigen retten, die Teil einer „privilegierten“ Gruppe waren. Die Mehrheit der deutschen Juden hatte der NS-Staat zu diesem Zeitpunkt längst deportiert. […] Angesichts des fortgeschrittenen Standes des Völkermordes steht die Annahme auf tönernen Füßen, man hätte nur Goebbels oder Hitler beeindrucken müssen, um den Lauf der Verfolgungspolitik zu ändern. […] Wenn man nach Würdigung aller Umstände in der historischen Analyse nun zu der Auffassung gelangt, dass die NSVerantwortlichen Ende Februar 1943 nicht beabsichtigten, die Insassen der Rosenstraße zu deportieren, und daher auch der Protest nicht zu ihrer Freilassung geführt hat, so resultiert daraus in keinem Fall der Schluss, dass Widerstand oder öffentlicher Protest im „Dritten Reich“ zwecklos gewesen wäre. Allerdings taugt das Beispiel Rosenstraße als Lehrmaterial für heute nur bedingt, wenn man dabei allein auf die angenommene Wirkung der Ereignisse blickt. Statt einer Geschichte vom Erfolg zu erliegen, scheint es für Forschung und Öffentlichkeit ertragreicher, dem individuellen Handeln der Menschen seit dem Beginn der NS-Diktatur mehr Aufmerksamkeit zu widmen, ob als Planer, Mitgestalter oder Verweigerer antijüdischer Maßnahmen oder als von diesen betroffene Opfer. […] In der Rosenstraße bewirkte das einzigartige Verhalten vieler Frauen und Männer zwar nicht die Freilassung ihrer Angehörigen, doch schmälert dieser Befund – das sei nochmals betont – weder ihren Mut noch die Größe ihres Handelns. Ein öffentlicher Protest in der NS-Zeit, egal wie viele Menschen an ihm teilnahmen, ist ein bleibendes Zeugnis für Zivilcourage. Wolf Gruner, Widerstand in der Rosenstraße. Die Fabrik-Aktion und die Verfolgung der „Mischehen“ 1943, Frankfurt am Main 2005, S. 202 f. und 204 206 1. Analysieren Sie, welche Aspekte der Erinnerung an den Protest in der Rosenstraße der Autor kritisch sieht. 2. Arbeiten Sie heraus, worin nach Meinung von Gruner die große Leistung der protestierenden Frauen besteht. 3. Erörtern Sie, ob das Verhalten der Protestierenden für das Regime eine Gefahr darstellte. M2 Kommunistischer Widerstand Dagobert Biermann (1904 1943) ist Kommunist und hat im Hamburger Hafen gearbeitet. Nach dem Krieg erzählt seine Frau Emmi vom Schicksal ihres Mannes: 1936 war ich schwanger, und grad da begann wieder die illegale Arbeit. Hitler ließ Kriegsmaterial nach Spanien liefern. Da wollten die Faschisten die Republik kaputthauen, und die Nazis halfen denen dabei. Mein Bruder war Ewerführer1 im Hamburger Hafen. Er hatte Wind davon bekommen, dass Schiffe mit Munition nach Spanien rausgehen. Getarnt waren die als Handelsschiffe. Wir mussten die Arbeiter in Spanien doch warnen! Die sollten die gleich übern Schnabel nehmen2, wenn die da ankommen. Mein Bruder spionierte aus, wo die Schiffe lagen, und notierte sie. Unter Lebensgefahr! Aber er war ja roter Betriebsrat gewesen und hatte eine gute Nummer im Hafen. Die Kollegen verpfi ffen ihn nicht. Die Unterlagen wurden nach Spanien geschmuggelt. Wenn ein Waffenschiff im Hafen lag, rief mein Mann den Herbert Michaelis, unsern Kurier, an, und der nahm die neuesten Nachrichten mit. […] Mein Mann kam in „Schutzhaft“. So hieß das damals. Ich wollte genau wissen, wo er sitzt, aber ich wurde immer abgewiesen. Eines Tages hab ich dann doch erfahren, dass er in Fuhlsbüttel ist. Und man erlaubte mir, seine Wäsche zu holen und ihm neue zu bringen. Aber ich hab ihn nicht gesehen, nur das Blut, das an der Wäsche klebte. Die Wäsche wurde von 1 Ewer: kleines Küstenschiff 2 umgangssprachlich: etwas übernehmen, in Empfang nehmen 5 10 15 20 25 30 35 40 5 10 15 20 45 50 151Widerstand Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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