Volltext anzeigen | |
127Ausbreitung der Reformation, Konfessionalisierung und frühmoderner Staat M1 Ein König wird abgesetzt Die aufständischen Provinzen und Städte der nördlichen Niederlande schließen sich 1579 zur Union von Utrecht zusammen. Sie beauftragen 1581 eine Kommission von Juristen, einen Text zur Absetzung König Philipps II. auszuarbeiten. Dieser wird in Form eines öffentlichen Anschlags am 26. Juli 1581 bekannt gemacht. Das bedeutende Dokument der europäischen Verfassungsgeschichte begründet das moderne Widerstandsrecht: Ein Volk ist nicht wegen des Fürsten, sondern ein Fürst um des Volkes willen geschaffen; denn ohne das Volk wäre er ja kein Fürst. Er ist dazu da, dass er seine Untertanen nach Recht und Billigkeit regiere und sie liebe wie ein Vater seine Kinder, dass er treu walte, wie ein Hirt über seine Herde. Behandelt er sie aber nicht so, sondern bloß wie Sklaven, dann hört er auf, ein Fürst zu sein, und ist ein Tyrann. Die Untertanen aber haben das Recht, nach gesetzlichem Beschluss ihrer Vertreter, der Stände, wenn kein anderes Mittel mehr übrig ist und sie durch keine Vorstellung ihrer Not irgendwelche Versicherung der Freiheit für Leib und Gut, für Weib und Kind von dem Tyrannen erlangen können, diesen zu verlassen. Unter dem Vorwand der Religion hat der König von Spanien eine Tyrannei einzurichten versucht und, ohne auf irgendeine Vorstellung des Landes zu achten, dessen Privilegien verletzt, den Eid gebrochen, den er auf deren Erhaltung geschworen. Und so erklären wir denn jetzt den König von Spanien verlus tig jedes Anspruchs auf die Herrschaft in den Niederlanden; wir entbinden hiermit alle Amtsleute, Obrigkeiten, Herren, Vasallen und Einwohner von dem einst dem König von Spanien geleisteten Eid des Gehorsams und der Treue und befehlen allen Beamten, fortan den Namen, die Titel und die Siegel des Königs von Spanien nicht mehr zu gebrauchen und einen neuen Eid abzulegen, des Inhalts, uns treu zu sein gegen den König von Spanien und alle seine Anhänger. Zitiert nach: Gottfried Guggenbühl, Quellen zur Geschichte der neueren Zeit, Zürich 41976, S. 135 f. 1. Erläutern Sie den Begriff „Stände“. Inwiefern repräsentieren sie die Bevölkerung? 2. Arbeiten Sie heraus, wie im Text Tyrannei defi niert wird. Welche Rolle spielte im Fall des Königs von Spanien die Religion? 3. Nehmen Sie Stellung zur Begründung des Widerstandsrechts. Inwieweit ist sie nachvollziehbar, inwieweit pro blematisch? M2 Die Rolle der Gemeindeältesten Philipp I., Landgraf von Hessen, setzt sich für die Umsetzung des Protestantismus ein. Für eine strenge Kirchenzucht sollen auch sogenannte Gemeindeälteste oder Senioren sorgen. Ein Pfarrer berichtet 1544 über deren Tätigkeit in Echzell: Kürzlich ist den Pfarrern im Amt Nidda […] eine Ordnung zu Ziegenhain veröffentlicht worden, die beschlossen wurde, um uns zu christlicher Zucht zu ermahnen, was die Pfarrer bisher verweigert hatten. Der Landgraf hat jedoch Befehle zugleich an die Pfarrer und Schultheißen ausgehen lassen, die Ordnung zu befolgen. […] Darauf hat der Schultheiß verordnet, sechs ehrenhafte Männer zu wählen, […] die ich als Diener des Wortes am Sonntag Reminiscere anno 43 [18. Feb.] öffentlich vor der Gemeinde mit Gottes Wort und Aufl egung der Hände bestätigt habe. […] Alsbald haben die Senioren, andere Kirchendiener und ich den vierten Sonntag erwählt, uns zu versammeln, um vorzutragen, was ein jeder von den Senioren und der anderen Kirchendiener gesehen, gehört und vernommen haben, wodurch die christliche Versammlung bei uns irrig und verwüstet werden kann […]. Haben alsbald dem Schultheiß mit zwei der Senioren schriftlich übergeben, wen und was nicht billig1 gefunden und erachtet haben zu strafen laut Beilage. Beilage: Auf Sonntag nach Thomi anno 43 [23. Dez.] sind diese nachfolgenden Exzesse und Überfahrungen dem Schultheißen Philips Rorichen überliefert von dem Pfarrer, Ältesten und Kirchendiener zu Echzell. Zum 1. Friderich Flach und Anna Weisein, sein ehelich Hausfrau, haben ohne Unterlass Gottes Wort am Sonntag Bettag versäumt, dazu ihr ganzes Hausgesinde den Katechismus2. […] 5 Männer haben den Namen Gottes mit vorgeblichen Worten und unnützlich gebraucht.3 Eine Frau hat am Sonntag vor und während der Predigt gearbeitet, ein Mann Hafer gebunden. 2 Knechte und 2 Mägde sind an je einem Sonntag nicht in der Kirchenlehre erschienen. Zitiert nach: Günther Franz (Bearb.), Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. 2, Marburg 1954, S. 417; aus: Geschichte lernen 84 / 2001, S. 33 (sprachlich vereinfacht von Thomas Kahl) 1. Beschreiben Sie die Aufgaben der Gemeindeältesten. 2. Versuchen Sie, die Stellung der Gemeindeältesten zu Pfarrer und Schultheiß zu charakterisieren. 3. Bewerten Sie die Bedeutung der Kirchenzucht für die Festigung der Landesherrschaft. 1 billig: hier im Sinne von „angemessen“, „gerecht“ 2 Katechismus: Lehrbuch für den Glaubensunterricht 3 Das zweite Gebot verurteilt den Missbrauch des Namens Gottes. 5 10 15 20 25 5 10 15 20 25 30 N r z ur Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er Ve rl gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |