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51Schreiben: Literarische Figuren charakterisieren Das seh’ ich anders gehen und Herrn Grünlich heiraten, das war ganz gleichgültig; aber wenn er zu ihr sprach, würde sie plötzlich denken: Ich weiß etwas, was du nicht weißt … Die Adeligen sind – im Prinzip gesprochen – verächtlich! Sie lächelte zufrieden vor sich hin … Aber da, plötzlich, vernahm sie in dem Geräusch der Räder mit vollkommener,mit unglaublich lebendiger Deutlichkeit Mortens Sprache; sie unterschied jeden Laut seiner gutmütigen, ein wenig schwerfällig knarrenden Stimme, sie hörte mit leiblichem Ohr, wie er sagte: „Heute müssen wir beide auf den Steinen sitzen, FräuleinTony …“, und diese kleine Erinnerung überwältigte sie. Ihre Brust zog sich zusammen vor Wehmut und Schmerz, ohne Gegenwehr ließ sie die Tränen hervorstürzen … In ihrenWinkel gedrückt, hielt sie dasTaschentuch mit beiden Händen vors Gesicht und weinte bitterlich. Thomas, seine Cigarette im Munde, blickte ein wenig ratlos auf die Chaussee hinaus. „Arme Tony!“, sagte er schließlich, indem er ihre Jacke streichelte. „Du tust mir herzlich leid … ich verstehe dich so gut, siehst du! Aber was ist da zu tun? Dergleichen muss durchgemacht werden. Glaube mir nur … ich kenne das auch …“ „Ach,du kennst gar nichts,Tom!“, schluchzteTony. „Na, sage das nicht. Jetzt steht es zum Beispiel fest,dass ichAnfang nächsten Jahres nach Amsterdam gehe.Papa hat eine Stelle für mich … bei van der Kellen & Comp … Da werde ich Abschied nehmen müssen für lange, lange Zeit …“ „Ach,Tom! Ein Abschied von Eltern und Geschwistern! Das ist gar nichts!“ „Ja –!“, sagte er ziemlich langgedehnt.Er atmete auf, als ob er noch mehr sagen wollte und schwieg dann. Indem er die Cigarette von einem Mundwinkel in den anderen wandern ließ, zog er eine Braue empor und wandte den Kopf zur Seite. „Und es dauert ja nicht lange“, fing er nach einer Weile wieder an. „Das gibt sich.Man vergisst …“ „Aber ich will ja gerade nicht vergessen!“, rief Tony ganz verzweifelt. „Vergessen … ist das denn einTrost?!“ – 1. Suchen Sie Schlüsselsätze aus dem Textausschnitt heraus, die Tonys und Thomas’ Einstellungen zu den Erwartungen der Familie zum Ausdruck bringen. 2. Notieren Sie, wo direkte und wo indirekte Charakterisierungen von Tony bzw. Thomas vorliegen. 3. Erörtern Sie, inwiefern Tonys Gedanken das Bild ihres Charakters abrunden. 4. Setzen Sie das Gespräch der Geschwister am Ende fort und gehen Sie dabei darauf ein, wie beide ihre Überzeugung begründen. Diese gestaltende Form der Interpretation darf aber nicht den bisher gewonnenen Erkenntnissen widersprechen. 40 45 50 55 60 65 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn r V er la gs | |
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