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113Karikaturen analysieren Formale Kennzeichen Die Karikatur wurde von Thomas Nast (1840 1902) gezeichnet. Er stammte ursprünglich aus Deutschland und gilt als der bekannteste politische Karikaturist der USA im 19. Jahrhundert. Nast veröffentlichte die Karikatur 1885 im New Yorker Magazin Harper’s Weekly, einer der erfolgund einfl ussreichsten, politisch eher konservativ ausgerichteten Wochenzeitschriften Amerikas. Bildinhalt Die Karikatur zeigt eine Weltkugel, umringt von drei Gestalten, die Länder und Kontinente in ihre mitgeführten Säcke packen. Ihre typischen Attribute sowie die Aufschriften auf ihren „Grab-Bags“ identifi zieren sie als Personifi kationen des Deutschen Reiches, Großbritanniens und Russlands. Links im Bild zieht Reichskanzler Otto von Bismarck Sansibar in seinen noch recht leeren Sack. Er ist deutlich an seinen charakteristischen Gesichtszügen, dem Schnauzbart sowie an Pickelhaube und Uniform zu erkennen. Rechts greift sich der russische Zar Alexander III., gekleidet in traditionelle russische Tracht, Teile Zentralasiens. Anders als das Deutsche Reich und Russland wird Großbritannien nicht durch eine Individualkarikatur des Staatsoberhauptes symbolisiert, sondern durch eine dem englischen Landadel nachempfundene Typenkarikatur, die von britischen Satirikern geschaffene Nationalfi gur „John Bull“. Dieser steht in der vorderen Bildmitte vom Betrachter abgewandt, den gut gefüllten Sack hinter dem Rücken haltend, während er scheinbar in aller Ruhe seine Mitstreiter beobachtet. Thema der Karikatur ist die imperialistische Politik der europäischen Großmächte, die Mitte der 1880er-Jahre von einem Wettlauf um Kolonien geprägt war. Historischer Kontext 1885 befand sich der Imperialismus auf seinem Höhepunkt: Neben den „alten“ Kolonialmächten, allen voran Großbritannien mit seinem weltumspannenden Empire, strebten immer mehr Staaten nach Kolonialbesitz. Russland dehnte seinen Machtbereich in Zentralasien bis zum Pazifi k aus. 1884/85 erwarb auch das Deutsche Reich nach langem Zögern Bismarcks seine ersten Kolonien in Afrika und im Pazifi k. Wenige Monate vor Erscheinen der Karikatur hatten die Kolonialmächte auf der „Kongo-Konferenz“ Regeln für die Aufteilung Afrikas verhandelt. Mit seiner Karikatur spielt Nast auf die verstärkten Diskussionen um die Notwendigkeit von Kolonialpolitik an, die auch in den USA geführt wurden. Die Vereinigten Staaten waren zu einer wirtschaftlichen Großmacht geworden, die bei der Verteilung von Einfl usszonen nicht mehr zurückstehen wollte. Seit den 1850er-Jahren dehnten sie ihren Einfl uss auf Mittelamerika und den pazifi schen Raum aus. Ihr antikoloniales Selbstverständnis hielt die USA jedoch zunächst davon ab, Kolonien zu erwerben. Die Suche nach neuen Märkten und die Vorstöße vor allem Großbritanniens, Russlands und des Deutschen Reiches nach Südostasien und den pazifi schen Raum – die von den USA beanspruchte „westliche Hemisphäre“ – ließen die Imperialismus-Anhänger schließlich die Oberhand gewinnen: In den 1890er-Jahren gingen die USA zu einer imperialistischen Politik über. Intention und Wirkung Am Beispiel Großbritanniens, Russlands und des Deutschen Reiches, deren Kolonialpolitik auch die von den USA beanspruchte Einfl usssphäre bedrohte, will Nast die Kolonialmächte als raffgierige „Plünderer der Welt“ entlarven. Seine in Bild und Text deutlich werdende Imperialismus-Kritik soll die Meinungsbildung der Leser beeinfl ussen. Bewertung und Fazit Thomas Nast hat mit der Aufteilung der Weltkugel ein von zeit genössischen Karikaturisten häufi g verwendetes Motiv ausgewählt, das jedoch durch die Reduzierung auf wenige charakteristische Elemente wirkungsvoll gestaltet ist. Offen bleibt jedoch die Frage, warum die Karikatur andere imperialistische Nationen, wie die große Kolonialmacht Frankreich mit ihren Gebieten in Asien, Afrika und im Pazifi k, gänzlich außer Acht lässt. Damit bleibt die Aussage unvollständig. N r z u P üf zw e ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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