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139Umgang mit Texten und Medien Iss was Baccalà klingt deutlich besser als Stockfisch, bleibt aber dennoch getrockneter Kabeljau. Angeblich haben die Normannen diese Konservierungsmethode im Mittelmeerraum populär gemacht, doch das erklärt kaum, wieso der Baccalà in Rom, wo ja an Fisch kein Mangel herrschen sollte, so beliebt ist. Sicher, die salzweißen, knittrig übereinandergestapelten Stücke sehen in den Marktständen gut aus. Mehr als an Fisch erinnern sie an gebleichte Rindenteile exotischer Riesenbäume, denen irgendwelche Urwaldstämme Heilund Zauberwirkung zusprechen. Auch die Knochenhärte und die faserige Beschaffenheit lassen so lange an Holz denken, bis man daran schnuppert. Der Baccalà riecht nicht nach Fisch. Er riecht nach eingedicktem Meer, nach getrockneter Meeressenz, deren Geruch erst zögernd, doch dann ungeheuer penetrant freigesetzt wird. Der Geschmack ist im Vergleich dazu eher fade. Deshalb wird Baccalà in der römischen Küche oft mit intensiv Schmeckendem wie Paprika oder Sardellenfilets kombiniert. Ein „Baccalà in agrodolce“, wie ihn Maria in Pallottas Küche zubereitet hatte, schien mir dennoch gewagt. Mehr aus Neugierde als aus kulinarischer Vorfreude hatte ich ihn bestellt. Und jetzt stand das Gericht vor mir, dampfte und roch keineswegs nach gestocktem Meer, sondern nach allen Wohlgerüchen eines Schlemmerparadieses. Der Kabeljau war in eidottergroße Stücke zerteilt und schwamm in einer dicken Soße, die aus Tomatensugo, Äpfeln, Rosinen, getrockneten Pflaumen und Pinienkernen zu bestehen schien. Ich probierte. Wenn es wahr war, dass die menschliche Zunge nur die vier Geschmackseindrücke süß, sauer, salzig und bitter unterscheiden konnte, so hatte dieser Baccalà das gesamte Spektrum in idealer Weise abgedeckt. An der Zungenspitze schmeichelte sich der Fruchtzucker von Rosinen und Obst ein, wurde sogleich von der vollen Säure reifer Zitronen in die Schranken gewiesen, bevor ein Hauch von Meersalz zum Fisch hinleitete, der hinten am Gaumen in wunderbar aromatischer Weinessigbitterkeit melancholisch zerging. Bernhard Jaumann Stockfisch süßsauer 3 Aufgaben: Seite 143 5 10 15 20 25 30 30 Wird sich das wieder normalisieren? Mit der starken Individualisierung der Gesellschaft wird es auch immer mehr Leute geben, die meinen, sich kasteien zu müssen. Ich glaube, in diesen Menschen steckt eine tiefe Angst, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Vegetariertum ist natürlich auch eine Luxuserscheinung. Alle armen Völker würden sich über uns wundern. ➝ Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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