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Ausblick – Mit Material arbeiten 269 Jugendlicher Protest gegen den „Mauerstaat“ „Staatsfeindliche Hetze“ Seit 1973 steht der 17-jährige Lehrling Jörg Drieselmann im Visier der Staatsmacht. Am 13. August 1974, dem Jahrestag des Mauerbaus, bringt er ein Plakat im A3-Format mit zur Arbeit und legt es zusammengerollt auf seinen Arbeitsplatz. Er hatte es erstellt, nachdem er am Abend zuvor mit einem Freund zusammen eine Sendung im Westfernsehen über die aktuellen Flüchtlingsund Todeszahlen gesehen hatte. Das Plakat wird von einem Arbeitskollegen entdeckt – und noch am selben Tag wird er von der Stasi in die Erfurter Untersuchungshaftanstalt überführt. Während der einjährigen Untersuchungshaft werden die Schuldvorwürfe gegen Jörg Drieselmann ausgeweitet. Als Anführer einer „Untergrundgruppe“ soll er Flugblätter verteilt, Drohanrufe durchgeführt sowie Überfälle auf die Polizei geplant haben. Fünf Freunde werden inhaftiert und verurteilt. Am 28. Juli 1975 wird Jörg Drieselmann durch das Bezirksgericht Erfurt wegen mehrfacher, gemeinschaftlich begangener „Staatsfeindlicher Hetze“ und „Terror“ zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteil und in die Strafvollzugseinrichtung nach Cottbus eingewiesen. Am 15. September 1976 kauft ihn die Bundesrepublik frei. Heute ist Jörg Drieselmann Leiter des „Stasi-Museums“ in Berlin. M 2 Erste geheime Personeneinschätzung Bereits vor der Plakataktion verfasst ein Berufsschullehrer für die Staatsmacht am 4. März 1974 folgenden Bericht: Der Lehrling Drieselmann ist mir seit 1 1/2 Jahren aus dem Unterricht in den Fächern Staatsbürgerkunde und Betriebsökonomie bekannt. Während er sich im 1. Halbjahr kaum am Unterricht in diesen Fächern beteiligte und sich überhaupt schlaksig benahm, begann er im 2. Halbjahr außerordentlich provokative Fragen zu stellen. […] Verschiedene persönliche Aussprachen hatten keinen Erfolg. Im Januar ds. Jahres hatte Drieselmann die Frühdiskussion zu bestreiten. Er trat vor die Klasse und stellte die Frage: „Hat der sozialistische Staat das Recht, die freie Meinungsäußerung zu unterbinden bzw. zu unterdrücken?“ […] Vierzehn Tage später legte die Klasse die Prüfung für das „Abzeichen für gutes Wissen“ ab. Drieselmann machte die Prüfung für das Abzeichen in Gold.* In der Frühdiskussion wurde er von seinen Klassenkameraden gefragt, wie gerade er dazu käme, das „Abzeichen für gutes Wissen“ zu erwerben. Das entspräche nicht seiner Überzeugung und er würde auch gar nicht entsprechend handeln. Antwort Drieselmanns: „Es gibt in der BRD einen Jesuitenpater der sagt: Man muss den Marxismus-Leninismus studieren, um ihn widerlegen zu können, und danach handle ich.“ […] Da ich den Eindruck hatte, Dieselmann bewege sich in einer gewissen Gruppe, informierte ich darüber die Schulleitung mit der Bitte um Weitergabe an die staatlichen Organe. Erfurt, den 4. 3. 1974 Aus dem Aktenbestand der Staatssicherheit (BStU, MfS, BV Erfurt, AOP, Nr. 1704/75, S. 57) 1. Arbeite aus M 2 heraus, wie der Berufsschullehrer seinen Lehrling einschätzt. 2. Beurteile die Argumentation und das Verhalten des Lehrers (M 2). Beachte, wen er informierte. 3. Charakterisiere den Jugendlichen. Hältst du ihn für übermütig und dumm oder mutig und selbstbewusst? Begründe deine Meinung (M 1 und M 2). 4. Führt ein Zeitzeugenprojekt zum Thema „Jugendliche und Stasi“ durch. Projektangebote und Hilfestellungen fi ndet ihr unter www.thueringen.de/de/tlstu. ˘ Exkursionsund Internettipps: • Bildungsund Gedenkstätte Andreasstraße in Erfurt (http://gesellschaft-zeitgeschichte.de/stasi-u-haft) • Gedenkstätte Amthordurchgang in Gera (www.torhaus-gera.de) • www.bstu.bund.de (Behörden in Erfurt, Gera und Suhl) • www.jugendopposition.de M 1 Plakat von Jörg Drieselmann vom 13. August 1974. *„Abzeichen für gutes Wissen“ war eine Auszeichnung der FDJ, die im Rahmen des (schulbegleitenden) „FDJ-Studienjahres“ nach einer Prüfung zum marxistisch-leninistischen Wissen in den Stufen Gold, Silber und Bronze vergeben wurde. 5 10 15 20 25 4493_1_1_2014_232_271_kap5.indd 269 07.04.14 13:18 Nu r z u Pr üf zw ec k Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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