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Ende der Toleranz – drei Kritiken 167 Überprüfe deine erarbeitete Definition des Toleranz begriffs mithilfe der drei Kritiken und beantworte die Fragen von: a) Rafael Seligman: Darf oder muss man gegenüber ge walt bereiten Fundamentalisten intolerant sein? ➜M1 b) Thomas Assheuer: Ist das Toleranzkonzept heute am Ende? ➜M2 c) Hilal Sezgin: Was aber ist der Kern der Religion und warum ist es nicht möglich, Jude, Moslem und Christ gleichzeitig zu sein? ➜M3 Glossar: Assheuer, Aufklärung, Fatwa, Fundamen talist, Goi, Kontemplation, Koran, Lessing, Monotheismus, orthodox, Parabel, Paradoxon, Pluralismus, Prophet, Rushdie, Schiiten, Seligman, Sezgin, Superiorität 1 A u fg a b e n 40 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 zum Beispiel durch Islamkritiker, die ernsthaft fordern, man solle Muslimen hierzulande nur so viel Toleranz einräumen, wie Juden und Christen in islamischen Diktaturen gewährt werde. Damit aber wäre das Grundrecht auf Religionsfreiheit abgeschafft: Sogar mehr noch: Es wäre die rechtliche Gleichheit aller Bürger abgeschafft. Thomas Assheuer, S. 64f Hilal Sezgin Wie viel die Schule einem, ungewollt, doch verleidet. Lessings „Nathan der Weise“ bekamen wir im Deutschunterricht vorgesetzt, um dessen Ringparabel als Sinnbild von „Toleranz“ zu interpretieren. Und das taten wir dann auch: Der Wettstreit der Religionen lasse sich nicht entscheiden, der Wert einer Religion sich höchs tens an deren Wirkung bemessen. Strebt also um die Wette: Je besser die Religion ist, desto bessere Menschen macht sie aus ihren Anhängern. Heute bin ich überrascht über diese Verengung: als ob der Wert einer Religion allein im Ethischen liegt, im äußeren Wirken, nicht in der Kontemplation und in dem für sämtliche Fragen offenen Raum! Doch noch frappierter bin ich, dass unser Lehrer damals die Idee eines religiösen Wettstreits offenbar durchaus plausibel fand – solange man ihn mit „Toleranz“ ein wenig besänftigt. Dabei ging Lessing viel weiter, hat doch bereits sein Nathan von diesem ständigen Wettstreit genug. Lese ich Lessings Drama heute noch einmal, sehe ich: In der Ringparabel widerruft Gott (der König) die Vorstellung einer Superiorität komplett. Es klingt, als bereue Gott die Idee der einen Offenbarungsreligion geradezu! Ein Geschenk des Vaters wurde den Söhnen zum Verhängnis. Was als Liebesbeweis begann, hat sich in Tyrannei gewandelt. Im Grunde macht Lessing uns auf ein Paradox aufmerksam, das möglicherweise unvermeidbar ist für ein modernes Glaubensverständnis: Nicht nach außen, in Konkurrenz mit anderen, sondern nach innen, an den eigenen Glauben, ist die Frage nach der Wahrheit zu stellen. Wir wissen, dass wir glauben, genau wie auch alle anderen Gläubigen jeweils ihre Wahrheit glauben M3 – mit nicht weniger und nicht mehr Tiefe und Recht. Dieses Paradox wiederum ist mir aus dem Koran äußerst vertraut. Es ist geradezu ein Kernthema des Islam, der sich ja als jüngstes Geschwister anderer Religionen begreift, also einerseits als wahre und andererseits als nur eine unter vielen Religionen. Gott sandte seine Propheten zu allen Völkern, sagt uns der Koran. Zu allen! Man sollte das ruhig einmal wörtlich nehmen. Demnach sprach Gott auch zu den früheren Schamanen, zu Hindus und Buddhisten. Auch sie besitzen also Zugang zur ewigen göttlichen Wahrheit. Was lehrt uns das darüber, was es heißt, Gott ergeben zu sein? Auch das Motiv der „vielen Wege“ taucht im Koran immer wieder auf: „Jedem von euch gaben Wir ein Gesetz und einen Weg. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch will Er euch prüfen in dem, was Er euch hat zukommen lassen. Wetteifert darum im Guten. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren, dann wird Er euch kundtun, worüber ihr uneins wart.“ Nichts anderes steht später in der Ringparabel: Richtet nicht, sondern praktiziert – notfalls um die Wette, bis zum Jüngsten Tag. Hilal Sezgin, S. 63f Die Ringparabel steht im Koran N u r zu P rü fz w e c k e n E ig e n tu m d e s C .C . B u c h n r V e rl a g s | |
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