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Rousseau – direkte Demokratie und politische Tugend Der aus Genf stammende Jean-Jacques Rousseau ging noch weiter. Auch er legte den vorgeschichtlichen Naturzustand des Menschen zugrunde. Sobald der Mensch in ihm nicht länger verharren kann, muss eine Gesellschaftsform gefunden werden, die den Einzelnen schützt, durch die jedoch jeder „frei bleibt wie zuvor“ (u M4). Durch einen Gesellschaftsvertrag entsteht der Staat, dessen Zweck die Wahrung des Gemeinwohls ist. Mit Abschluss des Vertrages verlieren die Menschen zwar ihre natürlichen Freiheiten, doch sie gewinnen dafür die Freiheit von Staatsbürgern und behalten ihre Souveränität. Diese ist nicht übertragbar und auch nicht teilbar. Daher kennt der Staat nach Rousseau keine Gewaltenteilung und keine parlamentarische Repräsentation. Er forderte nach dem Vorbild der antiken demokratischen Polis, dass alle staatliche Gewalt uneingeschränkt und direkt beim Volk liegen müsse. Gemäß seinem Grundsatz der Volkssouveränität sei Herrschaft nur mit Zustimmung der Bürger rechtmäßig. Dieser Übergang des Menschen aus dem vorbürgerlichen in den bürgerlichen Zustand bedeutet für ihn eine sittliche Erhöhung. Vernunft und Gesetz treten an die Stelle von Instinkt und Begierde. Der Mensch kann auf höherer Stufe zur Tugend und in den Idealzustand des vorgeschichtlichen Naturzustandes zurückkehren. Rousseau hat die Frage seiner Zeit nach der Legitimierung von Herrschaft mit letzter Konsequenz beantwortet und die antimonarchischen und antiständischen Denkmodelle zwingend zu Ende gedacht. Die Wirkung seiner Staatstheorie war revolutionär und entfaltete erstmals in der Französischen Revolution ihre ganze Sprengkraft. Hier offenbarte sich allerdings auch die Schattenseite seiner Theorie: Radikale Revolutionäre wie Georges Jacques Danton und Maximilian de Robespierre behaupteten, alleine das Gemeinwohl zu vertreten. Unter Berufung auf Rousseau lehnten sie jede Gewaltenteilung und jede Opposition ab. Sie errichteten eine radikale Diktatur mit dem Ziel, die Utopie der „Wohlfahrt“ aller notfalls durch „den Schrecken“ (terreur)* zu verwirklichen. Trotzdem beeinfl ussten Rousseaus Theorien zusammen mit jenen von Locke und Montesquieu die politische Entwicklung in Europa und Nordamerika. Sie trugen wesentlich zur Entstehung von Verfassungen und Menschenrechtserklärungen seit dem 18. Jahrhundert bei (u M5, M6). Ein neues Menschenbild Dem Denken der Aufklärung lag also ein neues positives und optimistisches Menschenbild zugrunde. Jeder Mensch galt von Geburt an als gleich und frei. Zudem galt er als von Natur aus fähig und willens, gut zu handeln, mit seiner ihm angeborenen Vernunft selbstständig richtige Entscheidungen zu fällen und zum Fortschritt der Menschheit beizutragen, sofern man ihm die richtige Bildung und eine freie Entfaltung ermögliche. Auf die Frage, ob für das menschliche Zusammenleben Freiheit oder Vorschriften wichtiger seien, antworteten die Aufklärer übereinstimmend: Es müsse oder dürfe nur gerade so viele Vorschriften geben, dass die Freiheit des Einzelnen gesichert sei. Jean-Jacques Rousseau (1712 1778): Schriftsteller, Philosoph und Pädagoge aus Genf, der in Paris lebte und arbeitete. In seinen politischen Schriften berief er sich auf die Demokratie der griechischen Polis und das Naturrecht. Er ging von dem Grundsatz der Volkssouveränität aus und machte die „volonté générale“, den allgemeinen Willen, zur Richtschnur des politischen Handelns. Georges Jacques Danton (1759 1793; hingerichtet): Rechtsanwalt, radikaler Politiker und einer der Wortführer des Nationalkonvents. Während der Französischen Revolution hatte er mehrere Ämter inne. Weil er in der radikalen Phase der Revolution, der sogenannten Schreckensherrschaft (terreur; vgl. S. 66) für eine gemäßigtere Politik eintrat, wurde er verurteilt und hingerichtet. Maximilian de Robespierre (1758 1794; hingerichtet): Rechtsanwalt und wie Danton einer der zentralen Akteure der Französischen Revolution. Als führendes Mitglied der Jakobiner war er mitverantwortlich für die radikale Phase der Revolution, die Schreckensherrschaft (terreur); 1794 wurde er selbst Opfer des Terrors. u „Jean-Jacques Rousseau ou l’Homme de la Nature.“ Kupferstich von Augustin Legrand, um 1790. In seinem 1762 veröffentlichten Roman „Emile“ entwirft Rousseau einen Erziehungsplan, der die gesellschaftliche Fehlentwicklung des Menschen im Sinne einer wiederzugewinnenden Natürlichkeit korrigieren soll. Der Kupferstich von Legrand illustriert Rousseaus Forderungen, dass Mütter ihre Kinder wieder selbst stillen und nicht – wie im 18. Jahrhundert üblich – Ammen überlassen sollten. Damit werde sich die Sittlichkeit der Gesellschaft heben, behauptete Rousseau. * Vgl. dazu S. 68. 41Wandel des Denkens durch die Aufklärung Nu r z u Pr üf zw ck en Ei g nt um d es C .C .B uc hn r V er la gs | |
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