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119 Q2 Stolpersteine als Teil der Gedenkkultur Josef Schuster, Präsidiumsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, äußert sich am 18. Juli 2006 anlässlich einer Stolperstein-Verlegung: Ein Stolperstein hemmt den Gang, der Spaziergänger stolpert, er hält inne, und manchmal hat er sich den Fuß gestoßen. In jedem Fall wird er aufmerksam auf das, was seinen Lauf hemmte. An den Stolpersteinen, von denen hier die Rede ist, wird man sich nicht den Fuß stoßen: Sie verleiten zum gedanklichen Stolpern, zum Innehalten, zur Aufmerksamkeit. Inzwischen liegen tausende solcher „Stolpersteine“ in Deutschland auf Bürgersteigen, vor Wohnhäusern, manchmal auch vor öffentlichen Gebäuden oder gar einer Hochgarage, wo sich früher ein Wohnhaus befand. Ein Wohnhaus, in dem Menschen wohnten, die die Nazis manchmal heimlich verschleppt haben in die Todeslager im Osten. […] Auf diesen Steinen, in den Bürgersteig fest verankert, steht dann etwa „Hier lebte …“, und dann folgen die Namen der meist jüdischen Bewohner. Die Steine geben ihnen Namen, sie geben ihnen eine Identität, und sie erzählen, manchmal nur mit einem Ort und einer Jahreszahl, was aus ihnen geworden ist. […] Nach meiner Überzeugung machen die Stolpersteine Geschichte greifbar. Sie sind nicht besserwisserisch, nicht belehrend, sie informieren mit dürren Angaben, und es bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen, sich hinter diesen Angaben Menschen vorzustellen und sich mit ihnen zu beschäftigen. […] Vielleicht gibt es noch Menschen, die sich an ihre ehemaligen Nachbarn erinnern, von ihnen erzählen können, von ihnen gehört haben. So erhalten diejenigen, die keine Spur hinterlassen konnten, keine Kinder, keine Enkel, wieder einen Namen und einen Ort, an dem sie lebten. Zitiert nach: Stefan Lutz-Simon (Hrsg.): Würzburger Stolpersteine, Würzburg 2008, S. 30-32 1. Erstellt eine Liste aller Denkmäler in eurer Region, die an die NS-Zeit erinnern. 2. Tragt zusammen, welche Ziele mit Gedenkkultur erreicht werden sollen. Nennt jeweils Beispiele dafür. 3. Vergleicht die beiden Denkmäler in Berlin und Frankfurt. Diskutiert, welches Mahnmal eurer Meinung nach eine größere Aussagekraft besitzt (Verfassertext, Q1, Q3). 4. Wägt Vorund Nachteile der Aktion Stolpersteine ab und beratschlagt, ob ihr eine Initiative in eurer Region unterstützen wollt (Q2, Q3, Q4). 5 Q4 Kritik an den Stolpersteinen Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, äußert sich in einem Interview über die Aktion „Stolpersteine“ wie folgt: Ich persönlich sehe nicht, dass die Stolpersteine so wirken, wie sich das die Initiatoren denken. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie Menschen mit Füßen getreten wurden. Und ich möchte die Opfer nicht noch einmal unter Füßen sehen. Man sollte ihrer würdevoll gedenken, und das geschieht mit den Stolpersteinen nicht. Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung vom 12./13. Februar 2004 Q3 Stolpersteine Sie wurden im Jahr 2009 in Frankfurt am Main verlegt. 5 10 15 20 25 30 35 40 Lesetipps: Mirjam Pressler: Zeit der schlafenden Hunde, Weinheim und Basel 42010 (Gegenwartsroman: Johanna erfährt, dass der Reichtum ihrer Familie dadurch entstanden ist, dass ihr Großvater ein jüdisches Kaufhaus günstig erwerben konnte, weil die Besitzer wegen der NS-Rassenpolitik fl iehen mussten.) Amelie Fried: Schuhhaus Pallas, München 2010 (Die Autorin dokumentiert die Nachforschungen zur eigenen Familiengeschichte, die ihr die Auswirkungen der NS-Politik bis in die Gegenwart hinein deutlich machen.) Cornelia Franz: Verrat, München 2000 (Gegenwartsroman, in dem Jan mit seinem Vater in Streit gerät und abhaut, als er entdeckt, dass die Familie seines Vaters aus dem Verbot „entarteter Kunst“ Kapital geschlagen hat.) Jan de Leeuw: Falsche Bilder, München 2009 Als Hörbuch unter dem Titel „Das Schweigen der Eulen“ erhältlich. (Kriminalgeschichte: Arnould beginnt, die Geschichte seines Großvaters zu recherchieren. Er kommt dabei einem Kunstraub auf die Spur, der ihn in die Zeit der deutschen Besatzung Belgiens führt.) 30003_1_1_2015_060_123_kap02.indd 119 05.02.15 07:54 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um de s C .C . B uc hn er V er la gs | |
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