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Der Nationalsozialismus im Spiegel der Geschichtskultur 159 Amnestie und Integration nach der doppelten Staatsgründung Mit der doppelten Staatsgründung im Herbst 1949 wurden bereits erste Parallelen und Differenzen in den beiden deutschen Geschichtskulturen sichtbar (u M1). Der Wunsch nach einem „Schlussstrich“ war weit verbreitet. In der freien Presse der Bundesrepublik oder im Wahlkampf zum ersten Bundestag konnte das auch öffentlich gemacht werden. Schon vom ersten „Straf freiheitsgesetz“ des Bundestages vom 31. Dezember 1949 profi tierten Zehntausende von Nazi-Tätern. In dieser zweiten Phase, der „Phase der Vergangenheitspolitik“, ermöglichten weitere Amnestieund Integrationsangebote – wie beispielsweise die zum Artikel 131 GG – den Aufstieg der Eliten und Trägergruppen des „Dritten Reiches“ in maßgebliche Positionen in Staat, Gesellschaft und Politik. Allerdings gab es auch Politiker, die gegen diesen Hang zur Schuldabwehr auftraten (u M2). In der DDR rehabilitierte das am 9. November 1949 verabschiedete „Gleichberechtigungsgesetz“ der Volkskammer alle, die einzig und allein wegen der Mitgliedschaft in der NSDAP ihre Beschäftigungsmöglichkeiten und ihre Rechte verloren hatten. 1952 wurden auch geringfügig Belastete integriert, der Bereich der Justiz und der Exekutive blieb ihnen jedoch weiter verschlossen. Mit dem Abschluss der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ und der Gründung der DDR sah man die strukturellen und ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus „ein für alle Mal ausgerissen“. Die Existenz sowjetischer Internierungslager stand dem symbolischen Abschluss der Entnazifi zierung jedoch entgegen, was die SED-Führung seit 1949 zu ändern suchte. Schließlich wurden die Lager Anfang 1950 aufgelöst. 10 000 Internierte kamen frei, 10 500 bereits von den SMT Verurteilte wurden zur weiteren Strafverbüßung und weitere 3 400 „zur Feststellung der Schuld und zur Aburteilung“ an die DDR übergeben, was in den Waldheimer Prozessen geschah. Danach wurde der „Abschluss der Entnazifi zierung entsprechend der Potsdamer Beschlüsse“ verkündet. In der Bundesrepublik wurden die von der NATO herangetragenen Erwartungen an einen westdeutschen „Wehrbeitrag“ mit Forderungen nach Freilassung der „Kriegsverurteilten“ und der Rehabilitation der Waffenträger des „Dritten Reiches“ beantwortet. Viele von den Alliierten verurteilte Kriegsverbrecher kamen frei. Auf Drängen der Deutschen erklärte NATO-Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower am 22. Januar 1951: „Ich für meinen Teil glaube nicht, dass der deutsche Soldat seine Ehre verloren hat.“ Eine Ehrenerklärung von Bundeskanzler Konrad Adenauer vor dem Bundestag gemäß der die Gruppe der Kriegsverbrecher „außerordentlich gering und außerordentlich klein“ gewesen sei, folgte am 5. April 1951. Unter dem Eindruck des Kalten Krieges „konnte der Zweite Weltkrieg“, resümiert der Historiker Edgar Wolfrum daher, „zuweilen sogar als deutscher Beitrag zu einer antikommunistisch-westeuropäischen Einigung interpretiert werden“. Erst knapp 50 Jahre später, in den Jahren 1995 1999 und 2001 2004, sollte es schließlich möglich sein, die Dimensionen des Vernichtungskrieges im Osten, den die – so die Vorstellung der bundesdeutschen Öffentlichkeit – im wesentlichen „sauber gebliebene“ Wehrmacht 1941 1944 geführt hatte, in zwei kontrovers diskutierten Wechselausstellungen zu präsentieren und damit ein weiteres Kapitel deutscher Schuld zu beleuchten. Antifaschismus als Integrationsideologie und Legitimationsquelle Der Verweis auf die „Naziund Kriegsverbrechen“ war von Beginn an ein zentraler Pfeiler der Identitätspolitik der DDR. Da die Machtund Kulturelite des Landes größtenteils aus einst Verfolgten und aus Kämpfern gegen den Nationalsozialismus bestand, konnte sie erstens der ostdeutschen Bevölkerung gegenüber mit einer gewissen moralischen Überlegeni Schlussstrich drunter! Wahlplakat der Freien Demokratischen Partei (FDP) zur Bundestagswahl 1949. Artikel 131 GG: Das Gesetz zu diesem Artikel des Grundgesetzes vom 11. Mai 1951 erlegte dem öffentlichen Dienst auf, mindestens 20 Prozent des Besoldungsaufwandes für jene Beamten und Berufssoldaten zu verwenden, die derzeit noch „ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden“. Aus diesem Grund stellten die Behörden schon aus Budget-Gründen bevorzugt wieder diese Belasteten (Juristen, Gestapo-Leute, Berufssoldaten und Schreibtischtäter) ein. Waldheimer Prozesse: Von April bis Juni 1950 wurden in Waldheim (Sachsen) 3 324 Insassen ehemaliger sowjetischer Speziallager in der DDR in dreißigminütigen „Prozessen“ zu Strafen von 15 bis 25 Jahren Haft verurteilt. Als Informationen zu den Geheimverfahren durchsickerten, eröffnete man gegen zehn offenkundige Nazi-Verbrecher Schauprozesse, in denen auch lebenslängliche Haftstrafen oder Todesurteile verhängt wurden. In den Medien suggerierte man danach, dass die vorangegangenen Verfahren ebenfalls öffentlich gewesen seien. Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge tu m d es C .C .B uc hn r V rla gs | |
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