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207Der Kalte Krieg im Spiegel der Geschichtskultur Geheimhaltungsbestimmung für westliche Aktenbestände bilden hierfür die Grundlage – und die Medien sowie das Internet stellen den Verbreitungsweg für neue Erkenntnisse dar. Das Ende des Kalten Krieges und die Geschichtskultur – im Osten Während die militärischen und politischen Institutionen des Westens und dessen Wertvorstellungen weiter Bestand hatten, vollzog sich im Osten ein tief greifender Umbruch. Die Sowjet union und das von ihr dominierte Militärbündnis lösten sich auf. Die drei baltischen Republiken strebten bald in die EU und in die NATO. Auch die meisten der anderen postsozialistischen Länder Mittelund Osteuropas bemühten sich um einen Anschluss an die vormals westlichen Bündnisse. Die staatliche Unabhängigkeit von der Sowjetunion brachte zugleich eine Befreiung der öffentlichen Erinnerung. Die sozialistischen Diktaturen hatten ihre Herrschaft auch durch dogmatisierte Geschichtsbilder gestützt. Die Erzählung vom „Kampf der Arbeiter und Bauern gegen Ausbeutung und Unterdrückung“, von der „Zerschlagung des Hitler-Faschismus“ oder von der „Befreiung der Völker durch die Rote Armee“ und schließlich vom „brüderlichen Aufbau des Sozialismus“ wurde zum einzigen und verbindlichen Deutungsmuster. Für manche Teile der Bevölkerung wirkten die sozialistischen Mythen integrierend und identitätsstiftend. Für viele andere hatte die offi zielle Geschichtsdeutung jedoch nie mit den persönlichen Erinnerungen und Familien geschichten über Enteignungen und Repressionen im Sozialismus zusammengepasst. Nun kam die erstarrte Geschichtskultur der osteuropäischen Gesellschaften wieder in Fluss. Doch die befreiten Erinnerungen wirkten nicht befriedend oder versöhnend, sie wurden im Gegenteil sofort zum Gegenstand scharfer geschichtspolitischer Auseinandersetzungen. Denn in Osteuropa ist das nationale Gedächtnis fraktionierter, sind die Erinnerungsgemeinschaften zahlreicher als im Westen. Das hat weniger mit dem Kalten Krieg zu tun als vielmehr mit der Geschichte der osteuropäischen Völker zwischen 1918 und 1945, also der Phase, die historisch vor dem Kalten Krieg lag. So hatten beispielsweise viele Einwohner der 1940 von der Sowjetunion annektierten Baltenrepubliken im Zweiten Weltkrieg als Partisanen oder innerhalb deutscher Verbände gegen die Sowjetarmee gekämpft. Andere Balten wiederum hatten sich während der deutschen Besetzung der Roten Armee oder prosowjetischen Partisanen angeschlossen. Gemäß den gegensätzlichen Erfahrungen sprechen die unterschiedlichen Erinnerungsgemeinschaften heute von ein und demselben Ereignis als „erneuter Okkupation“ oder als „Befreiung vom Hitler-Faschismus“. Beide Sichtweisen führten ab 2004 zum estnischen „Denkmalskrieg“. Dabei ging es sowohl um den Gedenkstein für die Esten, die in SS-Verbänden „gegen den Bolschewismus“ und „für die Unabhängigkeit“ gekämpft hatten, wie auch um die Bronzestatue des trauernden Sowjetsoldaten im Stadtzentrum Tallinns. Der Gedenkstein wurde 2004 entfernt, der Bronzesoldat 2007 auf einen Militärfriedhof umgesetzt. Seit 2008 besitzt Tallinn nun auf dem „Freiheitsplatz“ mit einer 27 Meter hohen Glassäule ein „Freiheitsdenkmal“, welches 2009 mit dem „Freiheitskreuz“ gekrönt wurde. Während sich in Russland und Weißrussland die nationalen Geschichtsbilder weiterhin sehr stark an der sowjetischen Geschichtsmythen orientieren, wurde in den anderen postsozialistischen Gesellschaften damit gebrochen. In den identitätsstiftenden Mythen Polens, Ungarns oder der baltischen Republiken beispielsweise stehen die Opfer und der Sieg im Kampf gegen die Unterdrückung durch das nationalsozialistische Deutschland und (Sowjet-)Russland im Zentrum. i Zornesausbruch. Foto von 2005. Am zwei Meter hohen Denkmal des Bronzesoldaten in Tallinn entlud sich die Wut über die jahrzehntelange Zwangsmitgliedschaft Estlands in der Sowjetunion 2005 in einem symbolischen Farbanschlag. Auch die von der Regierung beschlossene Verlegung des Denkmals führte zwei Jahre später zu wütenden Protesten – diesmal jedoch von prosowjetischer Seite. N r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt u d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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