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466 Internationale Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg Die Pariser Friedensordnung und ihre Folgen Pläne für Ostmitteleuropa Die Pariser Friedensmacher wollten nicht nur Friedensverträge mit einer Reihe von Staaten abschließen, sondern darüber hinaus eine neue dauerhafte Friedensordnung schaffen. Leitmotiv der Verhandlungen sollte Wilsons Verständnis vom Selbstbestimmungsrecht der Völker sein. Dabei standen die Akteure vor zahlreichen territorialen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entscheidungen. Die Verträge bedeuteten die größte Umwälzung der europäischen Landkarte seit dem Wiener Kongress. Nur die im Krieg neutralen Länder waren nicht betroffen. Die bis dahin dominierenden politischen Ordnungsmächte in Osteuropa, das Habsburger Reich, Russland und das Osmanische Reich, waren als Folge des Krieges zusammengebrochen. Neue Nationalstaaten, so zum Beispiel das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (das spätere Jugoslawien), waren schon vor den Pariser Konferenzen entstanden und wurden nun von der Staatengemeinschaft anerkannt. Damit setzte sich ein Prozess der Nationalisierung und der Nationalstaatsbildung fort, der in den großen Reichen auch schon vor dem Weltkrieg zu spüren gewesen war. Allerdings ließen sich in vielen Gebieten Osteuropas keine ethnisch homogenen Nationalstaaten schaffen; es war unmöglich, klare Grenzen nach Nationalitäten ziehen. Die Sprachengemeinschaften lebten in einer unaufl ösbaren Gemengelage.* Keine Grenzziehung wurde von beiden als gerecht empfunden. Es entstanden vielmehr neue Staaten mit vielen Nationalitäten, die sich aber als Nationalstaaten der Titularnation verstanden. Zugleich erhoben die neuen Staaten nationalistische Gebietsansprüche gegeneinander. Die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht in Kombination mit der Anwendung machtpolitischer Erwägungen erwies sich in Osteuropa als besonders problematisch (u M1). Die geschaffene Ordnung trug den Keim neuer Konfl ikte in sich. Denn die Lage in Europa war nach 1919 durch einen Gegensatz gekennzeichnet zwischen den Staaten, die die bestehenden Grenzen beibehalten, und denen, die sie verändern wollten. Dabei war Deutschland die stärkste der potenziell revisionistischen Mächte. Solange es sich ruhig verhielt, war es möglich, die neue Ordnung in Europa aufrechtzuerhalten. Verträge mit weiteren Verlierern des Ersten Weltkrieges Der Pariser Friede setzte sich aus einer Reihe von Vertragswerken zusammen. Neben dem Vertrag von Versailles mit Deutschland gab es folgende Übereinkommen: • Vertrag von Saint-Germain mit Österreich (1919), • Vertrag von Trianon mit Ungarn (1920), • Vertrag von Neuilly mit Bulgarien (1919) und • Vertrag von Sèvres mit der Türkei (1920); dieser Vertrag konnte aber nicht umgesetzt werden und wurde durch den • Vertrag von Lausanne (1923) ersetzt. Titularnation (von lat. titulus: „Titel“): Begriff, der die staatstragende Bevölkerung einer Nation bezeichnet (Russen, Deutsche, US-Amerikaner usw.). Davon leitet sich gleichzeitig die Bezeichnung des Staates sowie die Bezeichnung der Staatsangehörigkeit ab (gilt demzufolge auch für ethnische Minderheiten). * Zu dieser Problematik vgl. auch den Methoden-Baustein „Mit Karten arbeiten“ auf S. 85 bis 87, in dem die territorialen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg sowie die Gemengelage der Nationalitäten in Ostmitteleuropa thematisiert werden. 4677_1_1_2015_452-481_Kap13.indd 466 22.07.15 06:59 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C. C. Bu ch ne r V er la gs | |
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