Volltext anzeigen | |
72 Vom Hochimperialismus zum ersten „modernen“ Krieg der Industriegesellschaft frei zu haben. Der Schlieffen-Plan* engte Deutschlands politischen Spielraum ein, denn jedes Zögern liefe dieser Planung entgegen. Am 31. Juli richtete Deutschland zwei Ultimaten an Russland und Frankreich: Russland wurde zur Rücknahme der Mobilmachung, Frankreich zur Neutralität im Fall eines deutschen Krieges mit Russland und zur Übergabe von Festungen als Sicherheit aufgefordert. Die Würfel waren zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen, denn ein Eingehen auf derartige Forderungen war den Regierungen unmöglich. Deutschland hatte sich für die Ausweitung des Balkan-Krieges zu einem europäischen Krieg entschieden. Der Krieg beginnt Da ein weiteres Warten die begonnene Aufstellung deutscher Truppen gefährdet hätte, erklärte das Deutsche Reich am 1. August dem Russischen Reich den Krieg. Zwei Tage später folgte die Kriegserklärung an Frankreich, das inzwischen ebenfalls seine Truppen zu den Waffen gerufen hatte. Am 2. August wurde in Brüssel ein deutsches Ultimatum überreicht, in dem das neutrale Belgien aufgefordert wurde, einem Durchmarsch deutscher Truppen zuzustimmen. Als die belgische Regierung ablehnte, begannen deutsche Truppen unter Bruch des Völkerrechts mit dem Einmarsch. Dies veranlasste am 4. August auch Großbritannien, in den Krieg einzutreten. Mitte August befanden sich schließlich alle europäischen Großmächte im Krieg; dabei kämpften die Mittelmächte gegen die Mächte der Entente. Mit dem Krieg sollte jeder politische Streit im Innern ruhen. Der Kaiser drückte das am 4. August 1914 so aus: „Ich kenne keine Parteien mehr, Ich kenne nur Deutsche.“ Die Sozialdemokraten ließen sich auf diesen „Burgfrieden“ ein. Sie stimmten im Reichstag für die Kriegskredite und stellten ihre Forderungen nach mehr Demokratie zurück. Nach ersten militärischen Erfolgen besprach die Regierung im September 1914 die Kriegsziele (u M5 und M6). Deutschland sollte wirtschaftlich, politisch und militärisch dauerhaft gesichert werden. Die Wirtschaft und nationale Verbände drängten darauf, Belgien zu besetzen und Frankreich so zu schwächen, „dass es als Großmacht nicht neu erstehen kann“. Russland sollte „von der deutschen Grenze“ abgedrängt und „seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker“ gebrochen werden. Außerdem wollte man die deutschen Kolonien auf Kosten anderer Mächte erheblich vergrößern. * Plan des preußischen Generalfeldmarschalls Alfred Graf von Schlieffen (1833 1912) von 1905, vgl. dazu S. 76 1. In einer neueren Darstellung der Julikrise werden die beteiligten Mächte von dem australischen Historiker Christopher Clark als „Schlafwandler“ bezeichnet; er betont die gesamteuropäische Verantwortung für den Krieg. Der deutsche Historiker Gerd Krumeich deutete in einer Diskussion mit Clark diesen Begriff sinngemäß so, dass die einzelnen Mächte wie Schlafwandler ihrem Weg folgten und unfähig waren, Lage und Interessen der anderen Mächte zu berücksichtigen. Krumeich sieht die Hauptverantwortung beim Deutschen Reich. Diskutieren Sie die Angemessenheit des Begriffes „Schlafwandler“. 2. Entwickeln Sie Thesen zu der Frage, warum weder die vorherigen Balkan-Krisen noch die Marokko-Krisen zu einem Krieg der europäischen Mächte führten, die Ermordung des österreichischen Thronfolgers aber durchaus. Mittelmächte: Deutsches Reich und Österreich-Ungarn, denen sich das Osmanische Reich und Bulgarien anschlossen Entente (frz. „Bündnis, Eintracht“): Frankreich, Großbritannien und das Russische Reich mit ihren Verbündeten i „Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche.“ Postkarte von 1914 mit einem Zitat von Kaiser Wilhelm II., das dieser am 4. August vor dem Reichstag ausrief. Im „Großen Hauptquartier“ in Koblenz schrieb er am 26. August eine leicht abgeänderte Fassung des Ausrufes und unterzeichnete sie mit „Wilhelm IR“ (= Imperator Rex: Kaiser und König). p Erläutern Sie den Zweck der Postkarte. 4677_1_1_2015_048-089_Kap2.indd 72 17.07.15 11:58 Nu r z u Pr üf zw ec ke Ei ge nt u d s C .C .B uc hn r V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |