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78 Vom Hochimperialismus zum ersten „modernen“ Krieg der Industriegesellschaft Die Suche nach immer wirkungsvolleren Waffen führte zur Entwicklung chemischer Kampfstoffe. Frankreich hatte 1914 erstmals Tränengas verschossen. Deutschland setzte im April 1915 bereits tödliches Chlorgas ein, das aus Tausenden Gasfl aschen abgelassen wurde (u M3). Nach diesem Tabubruch verwendeten alle großen Mächte spezielle Kampfstoffe, die mit Granaten verschossen wurden. Chemische Waffen töteten nicht nur, sondern hinterließen vor allem Verwundete, darunter zahlreiche Kriegsblinde, deren Pfl ege Kräfte binden sollte. Giftgas wird als die schrecklichste Waffe des Ersten Weltkrieges angesehen. Der Krieg war bereits 1914 zum Weltkrieg geworden, als Großbritannien die deutschen Kolonien in Afrika und im Pazifi k angriff. Mit dem Eingreifen der Vereinigten Staaten von Amerika aufseiten der Entente war 1917 auch die letzte bislang neutrale Großmacht am Krieg beteiligt. Das „Fronterlebnis“ Viele junge Männer waren 1914 in den Krieg gezogen, um „deutsche Kultur“ gegen die „dekadente Demokratie“ im Westen und die „asiatische Gefahr“ im Osten zu verteidigen. Die Propaganda nutzte viele Mittel, um den Kriegsausbruch als ein alle Schichten verbindendes, nationales Erwachen darzustellen. Was folgte, war jedoch ein jahrelanger Stellungskampf, der riesige Verluste forderte, ohne erkennbar zu einem Kriegsende zu führen. Dies hinterließ tiefe seelische Spuren bei den Soldaten, die sich immer drängender die Frage nach dem Sinn des Kampfes stellten. Besonders die an vorderster Front in den Schützengräben kämpfenden Soldaten entwickelten ihre eigene Sicht auf den Krieg. Sie lagen in Erde und Schlamm eingegraben, bewegten sich meist gebückt und waren Tag und Nacht den Bildern und Geräuschen des Krieges ausgesetzt. Ihre Aufgabe bestand darin, nach Artilleriebeschuss der feindlichen Stellungen vorwärtszustürmen, um den gegenüberliegenden Graben einzunehmen. Beim Ansturm starben Tausende durch Maschinengewehrsalven, Handgranaten oder Flammenwerfer. Viele Soldaten begannen, sich als Teil einer großen Kriegsmaschine zu fühlen. Um dennoch stolz auf ihr Leben als Soldat zu sein, mussten sie eine Abstumpfung gegenüber den Leiden des Krieges entwickeln. Der Tod konnte jederzeit über sie hereinbrechen und selbst noch ihren Leichnam zerstören. Werte des zivilen Lebens und Maßstäbe der Friedenszeit verblassten, und eine kriegerische Moral entwickelte sich. Vielen dieser Männer fi el es schwer, sich nach dem Krieg wieder in die bürgerliche Gesellschaft einzugliedern. Sie wurden als „verlorene Generation“ angesehen. Kriegswirtschaft Der Krieg wurde auch hinter den Fronten geführt. Da die Alliierten die Zufuhr von Rohstoffen in das Deutsche Reich blockierten, herrschte bald eine spürbare Knappheit, etwa an Edelmetallen, Kautschuk, Erdöl und Salpeter, alles wichtige Rohstoffe für die Rüstungsindustrie. Deutsche Unternehmen versuchten schnell, Ersatzstoffe zu entwickeln. Die BASF und die neu gebauten Leunawerke stellten Ammoniak her, der zu Salpeter weiterverarbeitet wurde. Die Firma Bayer erzeugte künstlichen Kautschuk für Reifen und Schiffsbatterien. Darüber hinaus zog die Regierung alle kriegswichtigen Rohstoffe ein. Glocken wurden von den Kirchtürmen geholt, i Massenherstellung von Granaten. Foto aus der Munitionsfabrik Chilwell (Großbritannien), um 1916. Internettipp: Für Materialien zur Kriegseuphorie im August 1914 in Westphalen siehe Code 4677-05 4677_1_1_2015_048-089_Kap2.indd 78 17.07.15 11:58 Nu r z u Pr üf zw ec ke Ei ge nt um d e C .C .B uc hn er V er la gs | |
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