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275Der Weg in den Ersten Weltkrieg 1 Meistbegünstigung: liegt vor, wenn Handelsvorteile allen Vertragspartnern gewährt werden; wem die Meistbegünstigung verweigert wird, der ist benachteiligt 2 Kaiser-Wilhelm-Kanal: der heutige Nord-Ostsee-Kanal M5 Vorstellungen über die Zukunft Deutschlands Der Historiker Michael Salewski erklärt 2003: Das französische Kriegsziel war ganz einfach: […] – die Zerstörung des Deutschen Reiches. Falls das nicht gelingen sollte […], sollte es wenigstens verkleinert werden: selbstverständlich Rückgabe von Elsass und Lothringen, Abtretung des Saargebietes, die Rheingrenze für Frankreich, Russland, dem Verbündeten, wollte man territoriale Freiheit im Osten gestatten […]. Es liegt auf der Hand, dass Englands Kriegsziele viel moderater erschienen […]. Aber von Pappe waren sie keineswegs. Natürlich mussten Belgien voll wiederhergestellt, Elsass und Lothringen an Frankreich zurückgegeben werden. […] Viel wichtiger erschienen England andere Forderungen: Deutschland sollte fortan keine Flotte mehr besitzen, keine Kolonien, es sollte die Meistbegünstigung1 für alle gewähren – ohne Gegenseitigkeit –, die Nordseeinseln waren abzurüsten, der Kaiser-Wilhelm-Kanal2 zu internationalisieren. […] Aber schon 1914 war England sich darüber im Klaren, dass die Schwächung Deutschlands über ein gewisses Maß hinaus nicht opportun sein würde – hier schlug das Denken in den Kategorien der „balance of power“ durch, und das permanente Misstrauen Englands Russland gegenüber. […] Die Diskussion [im Deutschen Reich] vollzog sich auf drei übereinanderliegenden Ebenen. Auf der untersten ging es um die „Gleichberechtigung“ des Reiches, also um den schon lange vor dem Krieg geforderten „Platz an der Sonne“. Auf der zweiten um die „Hegemonie in Europa“, auf der dritten um den „Griff nach der Weltmacht“. Michael Salewski, Der Erste Weltkrieg, Paderborn 2003, S. 144 f. M6 Unterschiedliche Begehrlichkeiten Wolfgang J. Mommsen äußert sich in einem 2003 erstmals veröffentlichten Beitrag über die „Kriegsziele“: Keine der europäischen Mächte verfocht vor Kriegsbeginn konkrete territoriale Annexionsziele, welche ihre Entscheidung, zu den Waffen zu greifen, maßgeblich beeinfl usst haben. Doch schon bald nach Kriegsbeginn setzte in allen Ländern eine zunächst überwiegend intern geführte Debatte 5 10 15 20 25 5 über die Kriegsziele ein. Großbritannien forderte mit einigem Nachdruck die Wiederherstellung der Selbstständigkeit der kleineren europäischen Nationen, die durch den Angriff der Mittelmächte widerrechtlich zerstört worden sei, insbesondere die Wiederherstellung Belgiens. Auch in Frankreich […] stand die Rückgewinnung des Elsass und Lothringens im Vordergrund. Erst im weiteren Verlauf des Weltkrieges wurde dann die Forderung der Annexion des Saarbeckens und der Rheingrenze laut […]. Im Deutschen Reich kam es hingegen bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch zu einer massiven Kampagne für weitreichende Annexionen in Ost und West. […] Der deutschen Reichsleitung kam diese […] Agitation […] höchst ungelegen. […] Dennoch wurden, ungeachtet des öffentlichen Bekenntnisses zu einem Verteidigungskrieg, unverändert umfangreiche Planungen für territoriale Erwerbungen in Ost und West, insbesondere für die dauernde Kontrolle Belgiens, fortgeführt. Diese nahmen in der Folge immer uferlosere Formen an. […] Im Übrigen verhandelten die alliierten Mächte auf der Interalliierten Wirtschaftskonferenz in Paris vom 14.-17. Juni 1917 über eine Nachkriegsordnung, durch welche die deutsche Stellung im Welthandel auf Dauer niedergehalten werden sollte. […] Seit 1917 verhärteten sich in allen Lagern, insbesondere aber im Deutschen Reich, die Forderungen der Kriegsziele immer stärker […]. […] Bedeutsamer war, dass mehr und mehr rassistische, insbesondere antisemitische, Gesichtspunkte in die Kriegszieldebatte eingebracht wurden. Auch die Idee ethnischer Säuberungen […] tauchte nun vielfach in den Denkschriften auf, auch wenn sie einstweilen keinen Eingang in die offi ziellen Planungen fand. Wolfgang J. Mommsen, Artikel „Kriegsziele“, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, herausgegeben von Gerhard Hirschfeld u. a., Paderborn, aktualisierte und erweiterte Studienausgabe 2014, S. 666 ff. 1. Fassen Sie alle Informationen aus beiden Texten über die Kriegsziele der europäischen Mächte zusammen (M5 und M6). 2. Salewski und Mommsen deuten die Kriegszieldiskussionen unterschiedlich. Stellen Sie die unterschiedlichen Urteile einander tabellarisch gegenüber. 3. Die publizistisch und vehement geführten Kriegszieldebatten weckten Hoffnungen und Befürchtungen und erzeugten Zwänge. Entwickeln Sie Hypothesen von der Reaktion der Bevölkerung, der Soldaten, der Regierung sowie des jeweiligen Gegners. 4. Formulieren Sie eine Stellungnahme zu den beiden Texten, in der Sie begründen, wessen Argumentation Sie eher nachvollziehen können. 10 15 20 25 30 35 Nu r z u Pr üf z ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc ne r V rla gs | |
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