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Julius Streicher (1885 1946): nationalsozialistischer Politiker und Publizist; 1921 Beitritt zur NSDAP; Verleger des antijüdischen Hetzblattes „Der Stürmer“; seit 1928 Gauleiter in Franken; 1933 1945 Mitglied des Reichstages; im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946 verurteilt und hingerichtet i Jüdischer Kellerladen in Berlin. Foto um 1920. der an der Front eingesetzten Juden festzustellen (sogenannte Judenzählung). Das Ergebnis erwies eine völlig angemessene Beteiligung der deutschen Juden am deutschen Kriegseinsatz. Es wurde jedoch nicht veröffentlicht und verstärkte damit noch die antisemitischen Gerüchte. Die Juden waren empört wegen dieser pauschalen Diffamierung. Wir wissen heute, dass von den etwa 550 000 im Deutschen Reich lebenden Juden fast 100 000 im Ersten Weltkrieg kämpften und ca. 12 000 ihr Leben ließen. Der schon während des Krieges anklingende radikale Anti semitismus setzte sich in der Weimarer Republik fort. Obwohl die überwältigende Mehrheit der jüdischen Bevölkerung der Revolution distanziert gegenüberstand, tauchten alte Verschwörungstheorien und Vorurteile wieder auf. Links orientierte, jüdische Politiker wie Kurt Eisner oder Rosa Luxemburg galten als „Verräter am deutschen Volk“. Die Weimarer Republik erschien ihren Gegnern als „Judenrepublik“. Die meisten Juden begrüßten die freiheitliche und demokratische Grundordnung der Weimarer Republik. Die Mehrheit der partei politisch engagierten Juden war deshalb im Lager der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zu fi nden. Die jüdische Bevölkerung in Osteuropa war im und nach dem Ersten Weltkrieg vor den antijüdischen Ausschreitungen zu Tausenden in das Deutsche Reich gefl üchtet. Ihre fremde kulturelle Prägung und Lebensart wurde zum Stereotyp für alle Juden und diente als Zielscheibe antisemitischer Vorurteile. Die deutschen Juden begegneten ihnen mit einer Mischung aus Misstrauen und wohltätigem Mitleid. Viele der unfreiwillig zugewanderten Ost juden emigrierten während der Weimarer Republik in andere europäische Staaten und die USA. Manche kehrten in ihre ost europäische Heimat zurück. Etwa 60 000 blieben in Deutschland. Auch das kulturelle Leben in der Weimarer Republik blieb von antisemitischen Vorurteilen nicht verschont. Ohne die heraus ragenden Leistungen jüdischer Künstler hätte jedoch die deutsche Kultur jener Zeit niemals ihre internationale Anerkennung gefunden. Auch in der Wissenschaft standen deutsche Juden mit an vorderster Stelle – darunter fünf Nobelpreisträger während der Weimarer Zeit: Albert Einstein (1921), James Franck (1925) und Gustav Hertz (1925) in Physik, Otto Meyerhof (1922) und Otto H. Warburg (1931) für Medizin. Vereinzelte Versuche, den Antisemitismus zu bekämpfen, scheiterten, weil es in der deutschen Gesellschaft der Weimarer Republik an Solidarität für die jüdischen Mitbürger mangelte. In der Weimarer Republik radikalisierte sich der rassistische Antisemitismus. Bücher, Broschüren und weit über 500 antisemitische Zeitungen verbreiteten eine zunehmend radikalere Propaganda. Seit 1923 tat sich der von Julius Streicher gegründete „Stürmer“ mit judenfeindlichen Hetzkampagnen hervor. Zu den am weitesten verbreiteten Schriften zählten die „Protokolle der Weisen von Zion“, die vorgaben, eine jüdische Weltverschwörung zu entlarven. Zu Beginn der Weimarer Republik gab es rund 400 völkische Organisationen. Ein Zentrum für antisemitische Kampagnen war der „Deutschvölkische Schutzund Trutzbund“. In seinem Gründungsjahr 1919 zählte er etwa 5 000 Mitglieder, 1922 waren es bereits fast 200 000, darunter Angestellte, Beamte, Lehrer und Akademiker, Ärzte und Anwälte sowie Handwerker und Händler. Unter dem Motto „Deutschland den Deutschen“ agitierte der Bund gegen die Demokratie, gegen linke Bewegungen und gegen Juden. Nach der Ermordung Walther Rathenaus im Juni 1922 wurde zwar seine Tätigkeit in den meisten Ländern des Deutschen Reiches verboten. Dennoch unterstützte er weiterhin gewalttätige Aktionen, so die Attentate auf die republiktreuen Politiker Matthias Erzberger und Philipp Scheidemann. 317Gesellschaft zwischen Revolution und Tradition Nu r z u P üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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