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205Lebensund Arbeitsbedingungen im Wandel Lebensund Arbeitsbedingungen im Wandel „Landfl ucht“ und Verstädterung Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten zwei Drittel der deutschen Bevölkerung auf dem Land. Auf dem Gebiet des späteren Deutschen Kaiserreiches wuchs die Bevölkerung zwischen 1816 und 1871 von gut 23 auf 41 Millionen. Dieser Anstieg und die sich dynamisch entwickelnde Arbeitswelt forderten von den Menschen die Bereitschaft zur Mobilität. Oft genug aus Gründen der Existenzsicherung zogen Ströme von Arbeitsuchenden in die rasch wachsenden Industrieregionen. Diese schon damals als „Landfl ucht“ bezeichnete Entwicklung führte zum viel beklagten Arbeitskräftemangel auf dem Lande. Je mehr Industrie sich in den Städten ansiedelte, wo es gute Verkehrsanbindungen und zahlreiche Arbeitskräfte gab, desto stärker wuchs dort die Einwohnerzahl. Ausgangspunkt für die Verstädterung (Urbanisierung) waren Standorte der Textilproduktion, des Bergbaus und der Schwerindustrie. Kaum eine Region veränderte sich so schnell wie das Ruhrgebiet. Kern des rasanten Strukturwandels war dort der Kohlebergbau. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch durch Landwirtschaft, Kleinstädte und Dörfer geprägt, wuchs das Ruhrgebiet bis zum Ende des Jahrhunderts zum größten industriellen Ballungszentrum Europas an. Auch Großstädte wie Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt am Main, Hannover und Nürnberg sowie das sächsisch-oberschlesische Industrierevier waren Zentren des Wachstums. Da vor allem junge Menschen in die Stadt kamen, die Geburtenrate dadurch anstieg und zugleich die Sterblichkeit in den Städten aufgrund verbesserter Hygiene und ärztlicher Versorgung stärker abnahm als auf dem Land, trug auch das innerstädtische Bevölkerungswachstum zur Urbanisierung bei (u M1). In vielen Städten verdreifachte sich die Einwohnerschaft in wenigen Jahrzehnten. Auch die Anzahl der Großstädte wuchs: 1871 gab es im Deutschen Reich sieben, 1918 bereits mehr als 50. Nur noch Großbritannien übertraf den deutschen Grad der Verstädterung. Die Industrialisierung löste nicht nur eine „Landfl ucht“, sondern zugleich eine OstWest-Wanderung aus. Zwischen 1860 und 1914 verließen etwa 16 Millionen Menschen die ostdeutschen Gebiete in Richtung Westen. Viele gingen noch einen Schritt weiter: Angesichts schlechter Lebensbedingungen, Arbeitslosigkeit und politischer Konfl ikte wanderten zwischen 1830 und 1913 mehr als sechs Millionen Deutsche aus. 90 Prozent gingen in die USA, das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, einige suchten in Ungarn oder Russland eine neue Heimat. Mobilität und die sozialen Folgen 1907 lebte nahezu die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr an ihrem Geburtsort. Die erzwungene Mobilität, um den Lebensunterhalt zu verdienen, hatte vielfältige soziale Folgen: Während die älteren Generationen meist auf dem Land blieben, gingen vor allem junge Männer immer häufi ger dauerhaft fort, geringe, absolute Zubzw. Abnahme Gebiete mit Bevölkerungsabnahme (geburtenarme und Auswanderungsgeb.) Gebiete mit Bevölkerungszunahme (geburtenreiche und Zuwanderungsgeb.) 100000 -200000 Einwohner 200000 -500000 Einwohner über 500000 Einwohner München Wien Budapest Pilsen Nürnberg Prag Tschenstochau Breslau Oberschlesisches Industriegebiet Mährisch-Ostrau Chemnitz Dresden Stuttgart Augsburg Karlsruhe Mannheim Frankfurt Wiesbaden Paris Basel Zürich Lille Lüttich Antwerpen Rotterdam Den Haag Utrecht Ruhrgebiet Bielefeld Düsseldorf Wuppertal Köln Kassel Erfurt Hannover Braunschweig Magdeburg Bremen Hamburg Stettin Danzig Königsberg Warschau Kiel Krakau Berlin N o r d s e e O s t s e e Amsterdam i Binnenwanderung in Deutschland während des 19. Jahrhunderts. p Skizzieren Sie den Verlauf der deutschen Binnenwanderung. p Nennen Sie mögliche Ursachen für regionale Bevölkerungsgewinne und -verluste. Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la g | |
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