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339 Aufarbeitung von Schuld und Verantwortung Kontroversen um die Vergangenheit und den Holocaust gab es nach wie vor. Einen der Höhepunkte stellte zweifelsohne der Historikerstreit in den Jahren 1986/87 dar, in dem Fachwelt und Presse über die historische Einzigartigkeit des Holocaust und die Rolle der „Vergangenheitsbewältigung“ diskutierten (u M3). In der DDR hatte das Thema Holocaust eine geringere Bedeutung. Nicht der Antisemitismus, sondern der Kampf gegen „die Arbeiterklasse“ und gegen die Sowjetunion sei das wesentliche Element des „Hitler-Faschismus“ gewesen, lautete die immer wieder propagierte Doktrin der SED-Führung. Die Juden erfuhren daher auch keine besondere Anerkennung als Opfer. Erst Ende der 1980er-Jahre rückte die politische Führung der DDR den Holocaust und die Opfer des Antisemitismus stärker in den Fokus.1 Der Nationalsozialismus und die Gegenwart Wie aktuell die deutsche Vergangenheit ist, erweisen die heftigen Diskussionen um die Beteiligung der Bundeswehr an NATO-Einsätzen in Kriegsgebieten, wie 2007 in Afghanistan. Auch die geschichtswissenschaftliche Erforschung des „Dritten Reiches“ ist längst nicht abgeschlossen. Immer wieder haben Untersuchungen zur NS-Zeit öffentliche Kontroversen ausgelöst. Zuletzt sorgte das Buch „Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ für eine scharf geführte Debatte. Es zeigt, wie sehr das Auswärtige Amt von Anfang an in die verbrecherische Politik der Nationalsozia listen und die Durchführung des Holocaust eingebunden war und dass zahlreiche schwer Belastete dort nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen konnten. Die Gewichtung deutscher Schuld und Verantwortung bleibt bis heute umstritten. Mehr noch: Der Ruf, dieses Kapitel deutscher Geschichte „zu den Akten“ zu legen, kommt bis heute quer durch alle Gesellschaftsschichten auf. Zwar steht vor allem der Holocaust nach wie vor im Fokus publizistischer und wissenschaftlicher Debatten. Jedoch wurde in den letzten Jahren deutlich, dass sich das Interesse zunehmend auch auf die Deutschen verlagert – und zwar auf die Deutschen als Opfer. Der Historiker Norbert Frei warnt, damit würden die Opfer des NS-Regimes zwangsläufi g zurückgedrängt, und er benennt die gegenwärtigen Chancen im Umgang mit der NS-Vergangenheit: „Das Gebirge an Schuld, das die Deutschen in den Jahren 1933 bis 1945 aufgehäuft haben, bekommt klarere Konturen, je weiter wir uns davon entfernen. Im Laufe der Zeit werden die Fragen zudem immer wieder anders gestellt, manche tauchen überhaupt erst aus der Distanz auf. Insofern glaube ich, dass diese Vergangenheit uns weiter interessieren und auch beunruhigen wird. Angesichts der Dimensionen der Verbrechen wäre alles andere unnormal und überraschend.“ 1 Zur Auseinandersetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus vgl. Seite 388 f. und 391 ff. i Besucher der Wehrmachtsausstellung im Münchener Rathaus. Foto vom 24. Februar 1997. Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 1945“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung, die zwischen 1995 und 2004 in verschiedenen deutschen Städten gezeigt wurde, sorgte für Aufruhr und wissenschaftlichen Streit. Sie widerlegte die Ansicht, die deutsche Armee sei am Völkermord in Ost europa unbeteiligt gewesen. Lesetipp Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungs krieges 1941 1944, Hamburg 22001 32015_1_1_2015_Kap3_260-351.indd 339 01.04.15 11:01 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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