Volltext anzeigen | |
3713.2 Die Weimarer Republik und ihre Bürger M2 „Das deutsche Volk ist frei“ Zur Eröffnung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919 hält der Vorsitzende des „Rates der Volksbeauftragten“ und kurz darauf zum Reichspräsidenten gewählte Friedrich Ebert eine Rede: […] Mit den alten Königen und Fürsten von Gottes Gnaden ist es für immer vorbei. (Bravo! links. – Widerspruch rechts.) Wir verwehren niemandem eine sentimentale Erinnerungsfeier. Aber so gewiss diese Nationalversammlung eine große republikanische Mehrheit hat, so gewiss sind die alten gottgegebenen Abhängigkeiten für immer beseitigt. (Lebhafter Beifall links.) Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst. (Bravo! links.) Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sich wieder herausarbeiten kann. Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution. (Sehr wahr! links. – Lebhafter Widerspruch rechts.) Meine Damen und Herren, es war die Kaiserliche Regierung des Prinzen Max von Baden, die den Waffenstillstand einleitete, der uns wehrlos machte. (Zurufe.) Nach dem Zusammenbruch unserer Verbündeten und angesichts der militärischen und wirtschaft lichen Lage konnte sie nicht anders handeln. (Sehr richtig! links.) Die Revolution lehnt die Verantwortung ab für das Elend, in das die verfehlte Politik der alten Gewalten und der leichtfertige Übermut der Militaristen das deutsche Volk gestürzt haben. (Sehr wahr! links.) Sie ist auch nicht verantwortlich für unsere schwere Lebensmittelnot. (Widerspruch rechts.) […] Meine Damen und Herren, die provisorische Regierung hat eine sehr üble Erbschaft angetreten. Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes (sehr wahr! bei den Sozialdemokraten): Alle Scheuern1, alle Läger waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war erschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, gestützt und gefördert vom Zentralrat der Arbeiterund Soldatenräte […] unsere beste Kraft eingesetzt, die Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen. […] Sorgenvoll blickt uns die Zukunft an. Wir vertrauen aber trotz alledem auf die unverwüstliche Schaffenskraft der deutschen Nation. Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer zerbrochen. Die preußische Hegemonie, das hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden. Wie der 9. November 1918 angeknüpft hat an den 18. März 1848 (Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten), so müssen wir hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe. Es charakterisiert durchaus die nur auf äußeren Glanz gestellte Zeit der Wilhelminischen Ära das Lassallesche Wort2, dass die klassischen deutschen Denker und Dichter nur im Kranichzug über sie hinweggefl ogen seien. Jetzt muss der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter3, wieder unser Leben erfüllen. (Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten. – Bravo! bei der Deutschen Demokratischen Partei.) […] So wollen wir an die Arbeit gehen, unser großes Ziel fest vor Augen, das Recht des deutschen Volkes zu wahren, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern (lebhafter Beifall links) und sie mit wahrem sozialen Geist und sozialistischer Tat zu erfüllen. (Erneuter Beifall links.) Zitiert nach: Walter Mühlhausen (Hrsg.), Friedrich Ebert. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Heidelberg 1999, S. 221 f. und 224 226 1. Arbeiten Sie heraus, gegen welche Vorwürfe sich Ebert wehrt. Von wem stammen diese? 2. Erörtern Sie die Ziele, die nach Ebert die Nationalversammlung verfolgt. Inwiefern knüpft sie an den 18. März 1848 an? M3 Die Revolution – eine verpasste Chance? Der Historiker Heinrich August Winkler beschäftigt sich mit der Bedeutung der Revolution von 1918/19: Manche Historiker meinen, dass die erste deutsche Demokratie vielleicht nicht untergegangen und dann auch Hitler nicht an die Macht gekommen wäre, hätte es damals einen gründlichen Bruch mit der obrigkeitsstaatlichen Vergangenheit gegeben. Tatsächlich war der Handlungsspielraum der regierenden Mehrheitssozialdemokraten […] in den entscheidenden Wochen zwischen dem Sturz der Monarchie am 9. November 1918 und der Wahl der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 größer, als die Akteure mit Friedrich Ebert, dem Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten, an der Spitze selbst meinten. Sie 1 Scheuer: Scheune 2 Zitiert wird hier Ferdinand Lassalle (1825 1864), der erste Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), aus dem später die SPD hervorging. 3 Gemeint sind Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller und Johann Gottfried Herder, die in Weimar wirkten („Weimarer Klassik“). 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 5 10 32015_1_1_2015_Kap3_352-385.indd 371 01.04.15 10:27 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
« | » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |