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4073.3 Deutsches Selbstverständnis nach 1945 Berufsgruppen (Ärzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte, Richter), barg andererseits die Gefahr des Eindringens von undemokratischen Einfl üssen. […] Als die neuen Bundesministerien aufgebaut wurden, waren die Überprüfungen durch die Alliierten aufgegeben worden. Sozialdemokraten wurden wegen der harten innenpolitischen Frontstellung kaum eingestellt. Andererseits erhielten aber alle ehemaligen Beamten des „Dritten Reiches“, mit Ausnahme der schwer belasteten, einen Rechtsanspruch auf Beschäftigung (Ausführungsgesetz zu Art. 131 GG). Alle Behörden hatten 20 % der Stellen für diesen Zweck zu reservieren. Da die meisten früheren Spitzenbeamten von den Alliierten entlassen und sogar vorübergehend verhaftet worden waren, standen sie 1949/50 zur Verfügung. Innerhalb der Gruppe der Beamten hatten alte Verbindungen Bestand gehabt: Ein ehemaliger Beamter „zog“ den anderen nach. Im Ergebnis kam es zur Wiederherstellung der alten Bürokratie, einschließlich ihrer NSDAP-Mitglieder. Im Auswärtigen Amt waren 1951 66 % der leitenden Beamten ehemalige NSDAP-Mitglieder. Kritik daran wies Adenauer mit dem Appell zurück, „jetzt mit der Naziriecherei Schluss zu machen“. Für das Bundesjustizministerium ergab eine amerikanische Untersuchung noch höhere Werte. In anderen Ministerien, für die keine Unterlagen vorliegen, dürfte die Entwicklung ähnlich gewesen sein. Immer wieder wurden diese Besetzungen mit dem Mangel an „Fachleuten“ erklärt. Die Besetzung der Bundesministerien war dabei der spektakulärste und auch greifbarste Fall. Denn es bestand ein Unterschied zwischen einer allgemeinen berufl ichen Wiedereingliederung ehemaliger Nationalsozialisten und der Besetzung zentraler Entscheidungs positionen. Insbesondere die Justiz, in der sich der Korpsgeist ihrer Angehörigen bemerkbar machte, wurde weithin restituiert. Erst seit Ende der sech ziger Jahre, als breite öffentliche Kritik einsetzte, wurde den schwer belasteten „Blutrichtern“ die Möglichkeit gegeben, sich unter Wahrung ihrer Versorgungsansprüche pensionieren zu lassen. Bestraft wurde keiner. Dietrich Thränhardt, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1996, S. 112 ff. 1. Fassen Sie die Aussagen Thränhardts mit eigenen Worten zusammen. 2. Erläutern Sie, inwiefern der Antikommunismus als „Integrationsideologie“ wirkte. 3. Erörtern Sie, ob es in unserer heutigen Gesellschaft auch „Integrationsideologien“ gibt. M6 Die zweite Schuld Der Journalist, Publizist und Schriftsteller Ralph Giordano überlebt den Holocaust als Sohn einer Jüdin in einem Kellerversteck in Hamburg. In seinem 1987 erschienenen Buch „Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein“ setzt er sich mit der „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesrepublik Deutschland auseinander: Jede zweite Schuld setzt eine erste voraus – hier: die Schuld der Deutschen unter Hitler. Die zweite Schuld: die Verdrängung und Verleugnung der ersten nach 1945. Sie hat die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland bis auf den heutigen Tag wesentlich mitgeprägt, eine Hypothek, an der noch lange zu tragen sein wird. Denn es handelt sich nicht um einen bloß rhetorischen Prozess, nicht um einen Ablauf im stillen Kämmerlein. Die zweite Schuld hat sich vielmehr tief eingefressen in den Gesellschaftskörper der zweiten deutschen Demokratie. Kern ist das, was in diesem Buch der „große Frieden mit den Tätern“ genannt wird – ihre kalte Amnestierung durch Bundesgesetze und durch die nahezu i Das Braune Haus von Bonn. Schautafel, herausgegeben von der SED-Abteilung Agitation, Presse, Rundfunk, Berlin-Ost, 1956. Als „Braunes Haus“ wurde die NS-Parteizentrale in München von 1930 bis 1945 bezeichnet. „Das Braune Haus von Bonn“ zeigt führende Politiker der Bundesrepublik, die im NS-Regime aktiv waren. Dazu gehört etwa Minister Theodor Oberländer (oben links). p Erläutern Sie, warum die SED-Führung an der Aufdeckung der „braunen“ Vergangenheit westdeutscher Politiker interessiert war. 25 30 35 40 45 50 55 60 5 10 32015_1_1_2015_Kap3_386-419.indd 407 01.04.15 10:31 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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