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425Mythen der Nationen: Arminius – „Gründungsvater“ der Deutschen? Die „Erfi ndung“ der deutschen Nation Im Mittelalter waren die Schriften des Tacitus und damit auch die Geschichte von Arminius und der Varusschlacht so gut wie vergessen. In der Renaissance durchforsteten italienische Humanisten auf der Suche nach antiken Texten die Klosterbibliotheken. 1425 fanden sie eine Abschrift der verloren geglaubten „Germania“ des Tacitus, 1507 seine „Annalen“ wieder. Damit wurden die germanische Frühzeit und die Varusschlacht bekannt. Tacitus hatte Arminius zum „Befreier Germaniens“ erklärt. Dies nahmen die Humanisten wörtlich: Mit zunehmender Vereinfachung erklärten sie die Germanen zu Vorfahren der Deutschen, von denen sie ihre kriegerische Stärke und Tugend übernommen hätten. Zwar gab es bereits in der Antike und im Mittelalter die Vorstellung, dass sich Völker von mythischen Stammvätern herleiteten. Einen gesamtdeutschen Ursprungsmythos gab es vor 1500 jedoch nicht. In der mittelalterlichen Ständegesellschaft hatte das „Herkommen“ eine andere Bedeutung. Ein deutscher Adliger fühlte sich seinen französischen oder italienischen Standesgenossen stärker verbunden als den Untertanen seines Landes. Erst in der Frühen Neuzeit entstand unter Gelehrten von Tacitus ausgehend die Vorstellung eines ethnisch in sich geschlossenen „germanischen“ Volkes, das sich geradlinig zur deutschen Nation entwickelt habe. Der Reichsritter Ulrich von Hutten feierte Arminius Anfang des 16. Jahrhunderts als einen der „ersten Vaterlandsbefreier“, der das „römische Joch“ abgeworfen hätte. Arminius, bald in „Hermann“ umbenannt, wurde zum ersten deutschen Helden und zum Führer eines germanisch-deutschen Freiheitskampfes, der sich in der Gegenwart fortsetzte. Nationaler Mythos im 19. Jahrhundert Seit Ende des 18. Jahrhunderts setzte eine wahre „Hermannseuphorie“ ein. Den eigentlichen Aufstieg zum Nationalmythos erlebte der „Hermannsmythos“ seit der Zeit Napoleons und der Befreiungskriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Hermann wurde zur Leitund Vorbildfi gur der nationalen Erhebung gegen die französische Fremdherrschaft und zum Symbol der kriegerischen Nation. So wie er 1 800 Jahre zuvor Varus aus Germanien vertrieben hatte, wollte man nun Napoleon aus Deutschland vertreiben. Der „Hermannsmythos“ wurde nach dem Untergang des alten Reiches immer mehr zur Antriebsund Rechtfertigungsideologie der nationalen Einigung und Hermann zur Integrationsfi gur. Der bayerische König ließ die Varusschlacht 1842 im Giebel der nationalen Gedenkstätte Walhalla verewigen, seit 1836 sammelte ein Verein u Titelblatt der „Germania“ des Tacitus. Druck von 1519 aus Basel. Der römische Politiker Publius Cornelius Tacitus (um 55 116/120 n. Chr.) begann um 97 n. Chr. mit der Niederschrift umfangreicher Geschichtsdarstellungen. Die „Germania“ wurde seit ihrer Wiederentdeckung 1425 für Jahrhunderte die wichtigste Quelle zu „Germanien“ und den „Germanen“. 1472 wurde sie erstmals in Bologna, später vor allem im deutschsprachigen Raum gedruckt, wo sie sich mit großer Wirkung verbreitete. 32015_1_1_2015_Kap4_420-441.indd 425 01.04.15 11:03 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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