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431Der 14. Juli – ein Mythos? Was machte den 14. Juli zum Mythos? Von Anfang an wurde dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 eine besondere Bedeutung gegeben. Das sahen schon die Zeitgenossen so (u M1). Aber wo rauf beruhte die außerordentliche Symbolkraft der „Bastille“? Die Antwort der Historiker lautet: Sie gründete vor allem darauf, dass • der „Staatskerker“ als „Zwingburg der Despoten“ und „Ort des Schreckens“ galt; • das Volk die Festung im Sturm eroberte, • das Volk die willkürlich verhafteten und seit Jahrzehnten in Ketten liegenden Kritiker des Despotismus befreite, • die Bastille zerstört und „vermarktet“ wurde, • man die „Sieger der Bastille“ zu „Helden der Nation“ machte und • seit dem 14. Juli 1790 des Bastille-Sturms öffentlich gedachte. Diese Gründe sind, wie die Forschung belegt hat, das „Ergebnis eines kollektiven Mystifi zierungsprozesses“ (Rolf Rei chardt). Folgende Argumente sprechen für diese Behauptung: In zahlreichen vorrevolutionären Schriften, die oft von ehemaligen Häftlingen stammten, wurde die Bastille immer wieder als Ort der despotischen Willkür dargestellt, in der unschuldige Vorkämpfer der Freiheit in menschenunwürdigen Kerkern angekettet um ihr Überleben kämpfen mussten. Diese Schilderungen entsprachen aber 1789 nicht mehr den Tatsachen. Die Bastille war ein fast leeres und unbedeutendes Gefängnis. Die Bastille wurde nicht im Sturm erobert. Sie war nach einer chaotischen, militärisch wenig wirksamen Belagerung den Aufständischen übergeben worden. 98 Angreifer und sieben Verteidiger kamen dabei ums Leben. Der „Blutzoll“ für die befreiende Tat rechtfertigte nicht die anschließende Lynchjustiz der aufständischen Menge an dem gefangenen Gouverneur der Bastille und dem Vorsteher der königlichen Stadtverwaltung, deren Köpfe man auf Piken gespießt zur Schau gestellt hatte. Die Bastille wurde nicht eingenommen, um zu Unrecht gefangengehaltene und in fi nsteren Kerkern misshandelte Insassen zu befreien. Die Angreifer suchten nach Waffen und wollten die sie bedrohenden Kanonen auf den Festungstürmen besei tigen. Erst nachträglich wurde die Befreiung „unschuldiger Männer“ in der Presse hervorgehoben. Dabei verschwiegen die meisten Reportagen, dass die „Befreier“ nur sieben gut genährte Gefangene (zwei Geistesgestörte, vier Fälscher und ein wegen sittlicher Vergehen eingesperrter Adliger) in den Turmzimmern vorgefunden hatten. Statt über Tatsachen zu berichten, schrieb man über einen erfundenen „ehrwürdigen Greis“, der „dreißig Jahre“ in dem Gefängnis gesessen habe (u M2). Der Vorsatz, die Bastille zu zerstören, entstand nicht am 14. Juli. Seit Mitte der 1780er-Jahre wurde von offi zieller Seite aus erwogen, die Festung abzureißen. Noch am Abend des 14. Juli ergriff der 34-jährige Bauunternehmer Pierre-François Palloy die Gelegenheit, mit der Schleifung der Festung zu beginnen. Zwei Jahre später war die Bastille baulich nicht mehr vorhanden. Dafür lebte sie nun in den Köpfen der Menschen weiter, denn Palloy hatte sie zur Touristenattraktion gemacht, Bürgerfeste auf ihren Trümmern zelebriert, aus den Steinen Bonbonnieren, Tintenfässer, Würfelbecher und Miniatur-Bastillen machen lassen und dazu Bastille-Modelle als Zeichen der Unfreiheit in alle 83 Départements versandt. Seine revolutionäre Vermarktungsstrategie hatte den Bastille-Mythos vergrößert. i Sansculotten tragen ein Modell der Bastille. Gouache der Brüder Lesueur, 1790/91. Solche Bastille-Modelle wurden bei Umzügen durch die Städte getragen. 32015_1_1_2015_Kap4_420-441.indd 431 01.04.15 11:03 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d e C .C . B uc hn er V er la gs | |
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