Volltext anzeigen | |
433Der 14. Juli – ein Mythos? M1 Zeitzeugenbewertungen Am 15. Juli 1789 verkündet der 48-jährige Journalist Antoine Joseph Gorsas im „Courrier de Versailles“: Dieser gestrige Kampftag wird als ewig denkwürdig in den Festkalender unserer Geschichte eingehen. Er bereitet die größte und vielleicht glücklichste Umwälzung vor! Der englische Botschafter Lord Dorset berichtet am 16. Juli 1789 aus Paris an den Duke of Leeds: Auf diese Weise, Mylord, hat sich die größte Revolution vollzogen, die es je in der Geschichte gab, und wenn man das Gewicht der Ergebnisse in Betracht zieht, hat sie verhältnismäßig wenig Blut gekostet. Von diesem Augenblick können wir Frankreich als ein befreites Land betrachten, den König als einen Monarchen mit sehr eingeschränkter Macht, und der Adel ist mit dem Rest der Nation auf das gleiche Niveau gerückt. Der englische Arzt Dr. Edward Rigby hält sich seit Anfang Juli als Tourist in Paris auf. Seiner Familie schreibt der 42-Jährige am 19. Juli: Ich bin Zeuge der außerordentlichsten Revolution gewesen, die vielleicht jemals in der menschlichen Gesellschaft stattgefunden hat. Ein großes und weises Volk kämpfte für die Freiheit und Rechte der Menschheit; sein Mut, seine Umsicht und seine Ausdauer sind mit Erfolg belohnt worden, und ein Ereignis, das zum Glück und Gedeihen von Millionen ihrer Nachkommen beitragen wird, ist mit sehr geringem Blutverlust und mit einer Unterbrechung der Alltagsgeschäfte von nur wenigen Tagen ein getreten. Der Arzt, Naturwissenschaftler und Publizist Jean-Paul Marat ist bei Beginn der Revolution 46 Jahre alt. Er wird Vertreter der radikalen städtischen Volksbewegung. Am 30. Juni 1790 bilanziert er in seiner Zeitung „L’Ami du Peuple“ („Der Volksfreund“): Es steht fest, dass wir die Revolution dem Aufstand des einfachen Volkes verdanken; und es ist nicht weniger gewiss, dass die Einnahme der Bastille hauptsächlich Zehntausenden armen Arbeitern der Vorstadt Saint-Antoine zu verdanken war. Erster Text: Walter Markov, Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789 1799, Bd. 1: Aussagen und Analysen, Leipzig 21986, S. 80 f.; zweiter Text: Erich Pelzer, 14. Juli 1789 – Geschichte und Mythos eines denkwürdigen Tages, in: Wolfgang Krieger (Hrsg.), Und keine Schlacht bei Marathon. Große Ereignisse und Mythen der europäischen Geschichte, Stuttgart 22006, S. 194; dritter Text: Gustav Landauer, Briefe aus der Französischen Revolution, Bd. 2, Berlin (Ost) 31985, S. 134 f.; vierter Text: Walter Markov, a. a. O., S. 78 f. M1 und M2 (siehe Seite 434) liefern Material für einen „kollektiven Mys tifi zierungsprozess“ (Rolf Reichardt). Erläutern Sie diese Aussage. u „Niederschlagung des Despotismus.“ Radierung (70 x 93 cm) von Pierre-François Palloy, 1789. p Analysieren Sie die Bildsymbolik. 5 10 15 20 25 32015_1_1_2015_Kap4_420-441.indd 433 01.04.15 11:03 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn r V er la gs | |
« | » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |