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43Partizipationsbewegungen in den Städten M3 „In übler Weise bevormundet“ 1374 kommt es in Braunschweig zu einem Konfl ikt zwischen den Zünften und dem Stadtrat. Er weitet sich zu einem Zunftaufstand aus, der sogenannten „Schicht“. Bei einer Versammlung des nur von Patriziern besetzten Rates mit den Zunftmeistern werden mehrere Ratsherren von Zunftmitgliedern und anderen Bürgern getötet oder vertrieben. Im Sommer des Jahres schreiben die Zunftmeister der Bäcker an ihre Amtskollegen in Lüneburg, Hamburg und Lübeck: Aufrichtige Leute haben uns zu verstehen gegeben, dass Eure Ratsherren mit anderen Räten der Seestädte übereingekommen sind, alle Zünfte und die gesamte Stadtgemeinde von Braunschweig wegen der Schicht, die dort gegen den Rat geschehen ist, zu verfolgen; und zwar sollen die Kaufl eute und alle Bürger von Braunschweig aus der Hanse1 verwiesen und ihnen ihre Rechte in allen Regionen genommen werden. Die Bürger und ihr Kaufmannsgut sollen in jeder Stadt Geleit und Sicherheit verlieren, und in allen Städten soll man über sie wie über Mörder richten. Wisst nun aber, liebe Freunde, dass alle Zünfte und die gesamte Bürgerschaft in Braunschweig in außergewöhnlichem Maße von dem früheren Rat beschwert und bedrückt worden sind, indem er große Willkür gezeigt hat und uns nicht zu unserem Recht verhalf. Auch wurden wir vom Rat in übler Weise bevormundet; denn die Ratsherren hatten viele Jahre lang durch Sondersteuern viel Geld von uns eingenommen und hatten die Stadt trotzdem in große Schulden gebracht, was wir wohl beweisen können. Darüber hinaus hatte der Rat zuletzt den Zünften und der Bürgerschaft neue Abgaben und Pfl ichten auferlegt, […] wie dies zuvor nicht üblich gewesen war. Dies geschah gegen die Freiheit der Stadt, der Zünfte und der gesamten Bürgerschaft. Insbesondere wollten sie neue Maße für Wein und Bier einführen, um sie kleiner zu machen. Aufgrund dieser und vieler anderer Nöte, mit denen der Rat alle Zünfte und Bürger von Braunschweig zu Unrecht beschwert hatte, ist dem Rat diese Schicht widerfahren. Und zwar ist alles ganz öffentlich mit Urteilen und vor Gericht geschehen; folglich tun uns alle Unrecht, die uns deshalb für Mörder halten. […] Falls uns nunmehr die Seestädte aus der Gemeinschaft der Hanse ausschließen und uns und unsere Habe für friedlos erklären wollen, so tun sie uns großes Unrecht. Darum bitten wir, liebe Freunde, dass ihr um des gemeinen Nutzens, des Friedens und aller aufrichtigen Leute willen, die in Eurer und in unserer Zunft sind, die ehrbaren Ratsherren in Güte bittet, dass sie uns und anderen Zunftmitgliedern […] nicht Unrecht tun oder uns zu Feinden werden, da wir Euch und ihnen, so sie sich freundlich mit uns halten wollen, mit Liebe und Güte zu Diensten sein wollen. Dafür wollen wir uns Euch gegenüber dankbar erweisen; und bitten Euch um Antwort. Nach: Klaus Arnold (Bearb.), Das Mittelalter. Quellen zur deutschen und europäischen Geschichte vom 8.-15. Jahrhundert, Paderborn 1991, S. 81 f. 1. Fassen Sie die Gründe des Konfl iktes zusammen. 2. 1386 wurde einigen Zünften doch noch der Einzug in den Stadtrat erlaubt. Erläutern Sie, mit welcher Zielsetzung diese Beteiligung von den Zünften angestrebt wurde. 3. Entwickeln Sie eine mögliche Gegenposition zu dem Brief aus Sicht eines Ratsherrn. Gehen Sie dabei auch auf die Argumente der Bäcker ein. 5 10 15 20 25 30 35 40 i Die „Kölner Weberschlacht“ von 1371. Nachträglich kolorierter Holzschnitt von 1499. Der Protest der Zünfte löste im 14. Jahrhundert in vielen Städten Bürgerkämpfe aus. In Köln führten die Weber den Protest gegen den patrizischen Rat an. In einer Schlacht gewannen die Vertreter der alten Oberschicht die Herrschaft über die Stadt zurück und bestraften die aufständischen Handwerker hart. 1 Hanse: zunächst eine Gemeinschaft von Kaufl euten im Ostund Nordseeraum. Unter Führung Lübecks entstand um die Mitte des 13. Jahrhunderts ein Bund von freien Hansestädten, der bis zum 15. Jahrhundert im Ostseeraum den Handel beherrschte und zugleich eine starke politische Macht war. 32015_1_1_2015_Kap1_008-081.indd 43 01.04.15 10:57 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge tu m d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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