Volltext anzeigen | |
103Die Renaissance – neues Wissen, neues Denken Leonardo da Vinci – Maler und Universalgelehrter Den Typus des Renaissancemenschen verkörpert in einzigartiger Weise Leonardo da Vinci. Der Sohn eines Notars lebte überwiegend in Florenz und Mailand. Er war einer der ganz großen Maler, Kunsttheoretiker, Naturforscher und Erfi nder seiner Zeit, ein Universalgenie. Als Künstler fragte Leonardo, wie Mensch und Natur abzubilden waren, um ihr Wesen zum Ausdruck zu bringen (u M1). Obwohl es noch als frevelhaft galt, sezierte er Leichen, um die Anatomie des menschlichen Körpers zu erforschen. Die Mathematik half ihm, Probleme der Bildperspektive zu lösen. Um die Natur adäquat darzustellen, vertiefte er sich in die Optik, Biologie, Geografi e und Geologie. In allen diesen Wissenschaftszweigen gelangte er zu neuen Erkenntnissen, weil er zeichnerische Gestaltungskraft, analytisches Denken und Erfi ndergeist vereinte. Berühmte Zeugnisse seines künstlerischen Schaffens sind das Bildnis der Mona Lisa oder die Reiterplastik des Mailänder Herzogs Francesco Sforza. Der Visionär und Erfi nder Leonardo konzipierte den architektonischen Idealplan einer Stadt, hin terließ aber ebenso Konstruktionszeichnungen zu Kränen, Kriegsschleudern, Taucherglocken und sogar einen Flugkörper für Menschen, dessen Funktionen dem Vogelfl ug nachgebildet waren. Was wollten die Renaissancekünstler und -gelehrten? Leonardo da Vinci suchte das Neue in Kunst und Wissenschaft wie kein anderer. Dabei waren Künstler und Gelehrte der Zeit überzeugt, dass die Antike Beispielhaftes erreicht hatte. Deshalb trugen sie die antiken, oftmals vergessenen Texte zusammen, erstellten davon Neuausgaben und studierten sie. Ebenfalls untersuchten sie Abbildungen, Plastiken und Bauten der Antike, um Formen und Techniken kennenzulernen. Aber die Renaissance wollte nicht nur das Wissen und das Können der Antike reproduzieren, sondern bewusst Neues erschließen. Die Methode dazu stammte ebenfalls aus der Antike, nämlich genau zu beobachten und keine übernatürlichen Erklärungen zuzulassen. Die Suche nach neuem Wissen und die vorurteilsfreie Erklärung sind bis heute die Kernziele der Wissenschaft geblieben. Dies ist ein erster Grund, weshalb die Historiker die Renaissance als Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit verstehen: Das wissenschaftliche Denken der Neuzeit wurde vorbereitet. Der zweite Grund ist: Das Verständnis von Natur und Mensch änderte sich durch die Renaissance radikal. Das christliche Mittelalter sah in der Natur eine unveränderbare Schöpfung, und es sah den Menschen in einer von Gott gestifteten Ordnung (ordo), in die er sich zu fügen hatte. Die Ungleichheit der Menschen, Gewalt und Not wurden als Folge der Erbsünde gedeutet. Das hatte der Mensch hinzunehmen, weil es Gottes Wille war. Das mittelalterliche Weltbild also fi xierte eine gottgegebene, statische Ordnung. Die Renaissance dagegen stellte nicht die christliche Offenbarung, sondern den Menschen in den Mittelpunkt der Welterklärung. Sie wandte sich nicht vom Evangelium ab, gab sich aber mit dessen Aus sagen nicht zufrieden. Vielmehr erkannte sie den Menschen als Individuum, das für sich selbst steht und das sich und die Welt verändert. Die Renaissance also entwarf eine menschengewollte, dynamische Ordnung. i Leonardo da Vinci. Selbstbildnis (33,2 x 21,2 cm), um 1512. Leonardo da Vinci (1452 1519): italienischer Maler, Kunsttheoretiker, Bildhauer, Naturforscher und Erfi nder. Er verkörpert den idealen Typus des universal gebildeten Menschen. Lesetipp: Boris von Brauchitsch, Leonardo da Vinci, Frankfurt am Main 2010 ur zu r P rü fzw ec ke n Ei ge nt um d s C .C . B uc hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |