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Die athenische „demokratía“ – Muster unserer heutigen Demokratie? 23 M2 Zustimmung, aber keine Mitbestimmung Urs Marti, Professor für Politikwissenschaften und politische Philosophie an der Universität Zürich, bewertet die athenische Demokratie: Gemäß der Auffassung, die sich in Athen im fünften vorchristlichen Jahrhundert durchgesetzt hat, ist Demokratie eine Verfassung, in der das Volk die beratende und gesetzgebende Gewalt, die entscheidende und verordnende Gewalt sowie die Gerichtsgewalt ausübt. […] Tatsächlich ist Athen während knapp zwei Jahrhunderten, von den Reformen des Kleisthenes (509 507) bis zur endgültigen Unterwerfung der griechischen Stadtstaaten durch Makedonien (322), über längere Zeitspannen hinweg, unterbrochen durch militärische Besetzungen und oligarchische Regimes, eine Demokratie gewesen. […] Vieles jedoch ist an dieser Ordnung, an modernen Maßstäben gemessen, nicht demokratisch. Der Bürgerstatus steht nur freien Männern zu, die waffenfähig sind, Steuern zahlen und deren Eltern beide aus Attika stammen. Nach Schätzungen hatte Attika im fünften und vierten Jahrhundert mindestens zweihunderttausend Einwohner, die Anzahl der Bürger betrug hingegen lediglich zwanzigbis vierzigtausend […]. Frauen, Sklaven und Zugewanderte bleiben ausgeschlossen. Die Bürger sind nicht vollständig gleich, sondern in Zensusklassen – also nach Maßgabe ihres Vermögens – aufgeteilt, denen unterschiedliche politische Rechte zukommen. Überdies werden die Entscheidungen von einer kleinen Minderheit getroffen, genau besehen kann das Volk in seiner Mehrheit einer Politik zwar zustimmen, aber es kann nicht wirklich mitbestimmen, es lässt sich, wie zeitgenössische Kritiker eingewendet haben, von Demagogen leicht beeinfl ussen und wird von skrupellosen Führern für deren eigene Interessen instrumentalisiert. Zu erwähnen ist schließlich, dass Athen in der demokratischen Periode eine kriegerische und imperialistische Macht gewesen ist. Die athenische Demokratie beruht, so lässt sich sagen, auf einer Externalisierung der Herrschaft [...]. Frei und tendenziell gleich sind die Bürger Athens; herrschaftsunterworfen sind in unterschiedlichem Grad Frauen, Sklaven, Metöken, das heißt ortsansässige Fremde ohne politische Rechte, sowie Bewohner der eroberten Gebiete. Urs Marti, Demokratie. Das uneingelöste Versprechen, Zürich 2006, S. 83 ff. M3 Eine Kulturbildung der Freiheit Christian Meier, Professor für Alte Geschichte an der LudwigMaximilians-Universität München, nimmt Stellung: Meine These ist, daß mit den Griechen etwas ganz Neues in der Weltgeschichte kam und daß dies zentral zu dem gehört, was Europa seitdem, zumindest für zweieinhalb Jahrtausende ausgezeichnet hat. In einer höchst wechselvollen Geschichte. […] Das Neue, das mit den Griechen in die Welt kam, war eine Kulturbildung ohne irgend nennenswert prägende Rolle einer Monarchie, grob gesagt: eine Kulturbildung der Freiheit statt der Herrschaft. […] Auch religiöse Instanzen spielten in diesem Zusammenhang keine nennenswerte Rolle. Nie haben Priesterschaften bei den Griechen Macht ausgeübt. Christian Meier, Die griechisch-römische Tradition, in: Hans Joas und Klaus Wiegandt (Hrsg.), Die kulturellen Werte Europas, Frankfurt am Main 2005, S. 96 98 1. Zeigen Sie anhand von M1 und M2 die Kontroverse auf. 2. Überprüfen Sie die Stellungnahmen M1 und M2 anhand der Informationen im Darstellungstext auf S. 14 20. 3. Arbeiten Sie die Kriterien heraus, nach denen die Historiker in M1 und M2 urteilen. 4. Die athenische Demokratie – Muster der Demokratie? Nehmen Sie unter Bezug auf M3 Stellung. i Volksversammlung auf der Pnyx in Athen. Zeichnung von Mirko Rathke, 2004. Der Versammlungsplatz aus Stein entstand erst im 4. Jh. v. Chr. Auf der Pnyx war Platz für rund 6 000 Männer. Zuvor traf man sich auf dem nackten Felsen des Hügels. Die Versammlungen begannen bei Tagesanbruch und konnten mehrere Stunden dauern. 5 10 15 20 25 30 35 5 10 Nu r ur P üf zw ec k n Ei ge nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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