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Der Untergang des Römischen Reiches wird gedeutet 113 Die Frage wurde und wird in der historischen Forschung sehr unterschiedlich beantwortet. Es bieten sich verschiedene Ereignisse und Daten an, die das Ende des Römischen Reiches markieren (➧ M1). Aus politischer Sicht spricht vieles für das Jahr 476, in dem der letzte weströmische Kaiser, Romulus Augustulus, abgesetzt worden ist. Die Beantwortung der Frage kann allerdings – je nach Standpunkt und Forschungsinteresse eines Historikers – auch anders ausfallen. Geschichtsschreibung ist nie unabhängig von der Perspektive des Betrachters. Man spricht von der Standortgebundenheit historischer Erkenntnis. Auf das Ende des Römischen Reiches bezogen heißt dies: Eine allgemeingültige Epochengrenze, die alle relevanten Aspekte gleichzeitig berücksichtigt, lässt sich nicht ziehen. Am ehesten sollte daher von einer längeren Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter gesprochen werden. Wann ist das Römische Reich untergegangen? 1) Buch Daniel 7, 1–28 2) siehe hierzu Seite 52 ff. Es ist sinnvoll, im Hinblick auf das Ende Roms zwischen den Deutungen der Zeitgenossen und späteren Erklärungen zu unterscheiden. Denn die Zeitgenossen befanden sich in einem Prozess, dessen Ausgang sie anders als alle späteren Betrachter noch nicht kannten. Es lassen sich mehrere Theorien unterscheiden, mit denen die Zeitgenossen den Niedergang Roms erklärten. Nach dem sogenannten Dekadenzmodell führte der wachsende Reichtum der Römer infolge der Eroberungszüge zu einem verschwenderischen Lebensstil und damit zum Sittenverfall. Die Kritik am Luxus nahm ihren Anfang aber nicht erst in der Spätantike, sondern bereits während der Republik. Das Dekadenzmodell vertraten sowohl christliche als auch heidnische Autoren. Im Mittelpunkt einer anderen antiken Deutung steht der Vergleich der Lebensalter eines Menschen mit dem Staatsleben. Letzteres durchläuft wie der menschliche Organismus verschiedene Entwicklungsstufen, um schließlich zu altern und zu sterben. Einige heidnische Autoren begründeten den Niedergang Roms mit der Vernachlässigung der religiösen Pflichten gegenüber den Göttern und der Hinwendung zum Christentum (➧ M2). Von besonderer Bedeutung im Christentum war die Vorstellung von der Abfolge der vier Weltreiche, die im alttestamentlichen Buch Daniel1) beschrieben und vom Kirchenlehrer Hieronymus (um 347–419/20) als Babylonisches, Persisches, Griechisches und Römisches Reich gedeutet worden sind. Das vierte Reich galt als das letzte. Die Christen glaubten, dass das Ende des Römischen Reiches mit dem Jüngsten Gericht zusammenfalle. Die Krise des 3. Jahrhunderts, der Einfall der Germanen oder die Eroberung und Plünderung Roms unter dem westgotischen König Alarich im Jahre 410 konnten als Anzeichen für den bevorstehenden Weltuntergang angesehen werden. Einige christliche Schriftsteller, allen voran Eusebius (um 260–339), der Biograf Kaiser Konstantins, sahen in der Entwicklung des Christentums zur Staatsreligion2) ein Zeichen dafür, dass das römische Kaisertum von Gott gewollt sei. Das fortdauernde Imperium sollte das Ende der Welt aufhalten, daher dürfe sich niemand dem christlich gewordenen Reich entgegenstellen. Der Niedergang Roms im Urteil der Zeitgenossen Nu r z u Pr üf zw ec ke n E ge tu m d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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