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177Vertiefung – Mit Material arbeiten M3 „Soll es etwas werden mit unserem Streben …“ Sands letzter Eintrag in sein Tagebuch vor dem Attentat: Soll es etwas werden mit unserem Streben, soll die Sache der Menschheit aufkommen mit unserem Vaterlande, soll in dieser wichtigen Zeit nicht alles wieder vergessen werden und die Begeis terung wieder auflohen im Lande, so muss der Schlechte, der Verräter und Verführer der Jugend, August von Kotzebue, nieder – das habe ich erkannt. Bis ich dies ausgeführt habe, habe ich nimmer Ruhe, und was soll mich trösten, bis ich weiß, dass ich mit ehrlichem Willen mein Leben daran gesetzt habe? In seinem Bekennerbrief, den Sand nach der Tat mit dem Dolch an eine Kirchentür nageln wollte, heißt es: Ein Zeichen muss ich geben, muss mich erklären gegen die Feigheit und Feilheit* der Gesinnung dieser Tage; – weiß nichts Edleres zu tun, als den Erzknecht und das Schutzbild dieser feilen Zeit, dich, Verräter und Verderber meines Volkes – August von Kotzebue, niederzustoßen. Erstes Zitat nach: Sven Felix Kellerhoff, Attentäter – Mit einer Kugel die Welt verändern, Köln 2003, S. 50 Zweites Zitat nach: Hagen Schulze, Sand, Kotzebue und das Blut des Verräters (1819), in: Alexander Demandt (Hrsg.), Das Attentat in der Geschichte, Frankfurt a. M. 1999, S. 266 *feil: käuflich, bestechlich 5 10 15 20 M4 „Man kann die That nicht aus Wahnsinn herleiten …“ Der in Bamberg erscheinende „Fränkische Merkur“ vom 3. April 1819 zitiert folgendes Schreiben aus Mann heim vom 25. März: Er [Sand] wird täglich zweimal verhört, sagt aber nichts Anders aus, als: „Er habe keine Privatrache geübt, sey aber schon längst entschlossen gewesen, Kotzebue wegen seines Verbrechens an Deutschland zu tödten, und er sey nun ruhig, da es ihm gelungen. Kein Dritter sey an der That schuld oder habe ihn dazu verleitet.“ Man kann die That nicht 5 10 15 20 25 M6 Der Lehrer über seinen Schüler Im Juni 1819 wird in der „Münchener politischen Zeitung“ behauptet, Sands Mutter und sein Lehrer Saalfrank seien mitverantwortlich für den Mord, denn sie hätten den Jungen falsch erzogen. Georg Heinrich Saal frank aus Regensburg entgegnet darauf: Ehe ich den ersten Punkt beleuchte, will ich zuförderst selbst meine Ansichten und Gefühle über Sand’s schreckliche That mittheilen. Ich mißbillige sie ganz; ich verabscheue sie; und dennoch betraure ich fortan meinen unglücklichen Schüler! Wird wohl ein edles Herz meine Trauer tadeln? – Wollen wir den Gärtner tadeln, der mit Betrübniß den Baum, den Liebling seiner sorgsamsten Pflege, vom wilden Orkan zerrissen, vom zuckenden Blitzstrahl zerschmettert sieht, den Baum, von dem er hoffte, die dankbare Nachwelt sollte mit erkenntlicher Erinnerung an den längst im Grabe schlummernden Pflanzer die erquickendsten Früchte genießen? – […] Ich würde wider mein Gewissen reden und ein schändlicher Verbrecher der Wahrheit sein, wenn ich ihm nicht Folgendes bezeugte: „Sand war bis zu seinem Abgange von Regensburg (denn nur so weit kann ich über ihn urtheilen) ein Jüngling von den schönsten Geis tesund Gemüthsanlagen, ohne die mindeste Spur von Hinneigung zum Fanatism; der Studierende wie er seyn soll. Sein rastloser Fleiß krönte ihn mit dem Prädikat „vorzüglicher Universitätsreife“. […] Sand verließ mich vor beynahe 5 Jahren, im 19ten Jahre seines Lebens, in einem Gemüthszustande, wie ich ihn oben schilderte. Mein Wirken auf ihn hörte gänzlich auf. Ist denn aber der Charakter eines jeden Jünglings von solchem Alter schon vollkommen ausgebildet, schon zur männlichen Reife gediehen? Kann seine Denkart und Gemüthsstimmung durch neue Ansichten und Gegenstände nicht eine andere Richtung nehmen? Aendern nicht oft bejahrte Männer hierin? Wie verdienen wir also die Beschuldigung? Münchener politische Zeitung vom 8. Juli 1819, S. 725f. 5 10 15 20 25 30 35 40 M5 „Ihr solltet die Ersten im Volke seyn“ Während der Untersuchungshaft wird Sand mehrfach verhört; am 16. Februar 1820 sagt er: Ihr Fürsten, selbst nach Euern eignen Grundgesetzen und Hausordnungen solltet Ihr allezeit die Meister und Ers ten im Volke seyn, und Ihr habt Euch meist überall als die Schlechtesten benommen […]. Jammer und Noth im Lande rühren Euch nicht, Euer übermäßiges Prassen, Euere Selbstsucht einzuschränken; gegen allen edlen Gemeingeist im Volke, gegen das Aufkommen einer freien öffentlichen Tugend, überhaupt gegen alle Regungen des Großen und Edlen verfahret Ihr so gehäßig, so mit bösem Gewissen und wählet so niedrige Mittel, um es alsbald zu unterdrücken, daß man Euch für die eigent lichen Lügengeister halten muß. Zit. nach: Günter Steiger, Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach Deutschland, Leipzig 21991, S. 239 5 10 15 aus Wahnsinn herleiten, da er sonst in allen seinen Reden und Handlungen keine Spur davon zeigt. Sie war sehr überlegt. […] Er [Sand] zeigt viele Gemüthsruhe, und bereut sein Verbrechen in keiner Hinsicht. Kotzebue habe sterben müssen, meint er; doch äußert er an der unglücklichen Lage von dessen nun verwaister Familie vielen Antheil. Den Verband seiner Wunde wollte er schon mehrmals abreißen, man sah sich daher genöthigt, ihm die Arme zu binden. Er ist ein schöner junger Mann, und alle Erkundigungen, die man bisher über seine früheren Aufführungen einge zogen, fielen günstig für ihn aus. Fränkischer Merkur Nr. 93 vom 3. April 1819 4453_176_187 06.06.14 11:30 Seite 177 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C . B uc er V er la gs | |
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