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179Vertiefung – Mit Material arbeiten M2 Das Attentat als Alibi August Bebel berichtet in seinen Lebens erinnerungen: Bismarck missbrauchte den gewaltigen Einfluss, den er mithilfe des Rep tilien fonds* auf einen großen Teil der Presse ausübte, um die Bevölkerung zum fanatischen Hasse gegen die Sozial demokratie aufzupeitschen. Und dieser Presse schlossen sich alle an, die an einer Niederlage der Sozial demo kraten ein Interesse hatten, insbesondere ein großer Teil der Unternehmer schaft. Die Partei hieß im gegnerischen Lager nur noch die Partei der Meuchel mörder**, der Alles ruinierer, die der Masse den Glauben an Gott, König tum, Familie, Ehe und Eigentum raube. Diese Partei zu bekämpfen und sie wenn möglich zu vernichten, erschien diesen Gegnern als die glorreiche Tat. Tausende und Abertausende von Arbeitern, die als Sozialdemokraten bekannt waren, wurden auf die Straße geworfen. August Bebel, Aus meinem Leben. Zweiter Teil, Berlin 91930, S. 414f. *Reptilienfonds: eine Art „schwarze Kasse“ aus öffentlichen Geldern (Steuern), über die keine öffentliche Rechenschaft abgelegt werden musste. Mit diesen Mitteln wurden u.a. Schmiergelder gezahlt. **Meuchelmord: vorsätzliche, auf heimliche, hinterhältige Weise verübte Tötung eines Menschen, auch durch mittelbare Täterschaft 1. Bismarck benutzte die Attentate für seine politischen Ziele. Erkläre! 2. Vergleiche seine Reaktionen mit denen Metternichs von 1819. M1 Das Attentat vom 2. Juni 1878 auf den Kaiser. Holzstich aus der „Leipziger Illustrirten Zeitung“ vom Juni 1878. Am 11. Mai 1878 schießt der 22-jährige Klempner geselle Max Hödel in Berlin auf Kaiser Wilhelm I., der unverletzt bleibt. Vier Wochen später, am 2. Juni, wird ein weiterer Mordanschlag auf den Kaiser verübt. Der 30-jährige Attentäter ist Dr. Karl Eduard Nobiling, ein Agrar ökonom. Er verletzt den Kaiser schwer und wird bei der Festnahme ebenfalls schwer verwundet. Hödel, obwohl offensichtlich geistesgestört, wird im August 1878 hingerichtet. Nobiling stirbt im Sep tember in Haft an den Folgen der Ver letzungen, die ihm bei der Verhaftung zugefügt worden waren. Beide Attentäter hatten zwar vorübergehend Kontakt zur Sozial demokratie, doch eine Verbindung zu der Partei ließ sich in beiden Fällen nicht nachweisen. Bismarck bringt allerdings schon nach dem ersten Anschlag im Reichstag eine Gesetzes vorlage gegen die Sozialdemokratie ein. Doch der Entwurf scheitert vor allem am Widerstand der Nationalliberalen. Er wird mit 251 gegen 57 Stimmen abgelehnt. Nach dem zweiten Attentat schlägt die Stimmung im Bürgertum um. Die Gründe nennt August Bebel (M2). 5 10 15 20 M3 Ein Wendepunkt Der Historiker Heinrich August Winkler bewertet 1978 die Attentate so: Die Mordanschläge […] wurden der unmittelbare Anlass einer Ausnahme gesetz gebung, die den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaates strikt widersprach. Indem die Nationalliberalen dem (auf ihren Druck hin auf zweieinhalb Jahre befristeten) „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ zustimmten, wichen sie von dem liberalen Grundsatz ab, dass individuelle Schuld nur nach allgemeinen Strafgesetzen zu ahnden ist und der Ausdruck einer Gesinnung noch keine strafbare Handlung sein kann. Die Zustimmung der National liberalen zum Sozialistengesetz bedeutete ein Stück „Kapitulation des Libera lismus“ vor Bismarck wie vor dem von ihm entfesselten plebiszitären Druck von unten. In der sozialdemokrati schen Arbeiterbewegung verstärkte sich während der Geltungsdauer des Sozia listen gesetzes, von 1878 bis 1890, das Bewusstsein, in einem politischen und sozialen Ghetto zu leben. […] Zudem diente die Empörung über die Attentate dazu, bei den Reichs tags wahlen vom 30. Juli 1878 einen Rechtsruck herbeizuführen, der dem Kanzler eine parlamentarische Mehrheit für seine Zollund Finanzreform sicherte. […] Schließlich aber wurde die Furcht vor Sozialismus und Revolution in den Jahren 1878/79 endgültig zum integrierenden Be standteil* eines spezifisch „rechten“ Natio nal ismus. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Dezember 1978 *wesentlichen Bestandteil 5 10 15 20 25 30 35 Attentate gegen Kaiser Wilhelm I. (1878) 5Lesetipp: Sven Felix Kellerhoff, Atten täter – Mit einer Kugel die Welt verändern, Köln 2003, S. 56-59 4453_176_187 06.06.14 11:30 Seite 179 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d es C .C . B uc h r V er la gs | |
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