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187Umgang mit Texten und Medien Spiegelungen Ich rannte nach Hause und erzählte es Vater. Vater saß auf dem Bettrand; seit wir dem Gibbon kein Obst und kein Ge müse mehr geben konnten, war er wieder kränklich geworden; seine langen Arme auf dem Deckbett sahen wie trockene Farnrispen aus, und seine al ten Weltaugen blickten abwesend ins Leere. „Schäm dich“, sagte Vater nach einer längeren Pause. Ich schämte mich auch; aber in der Nacht kamen wir beide fast zur gleichen Zeit drauf zu sprechen; wir hatten einfach zu großen Hunger. Der Gibbon wusste genau, was ihm bevorstand, als wir ihn am nächsten Morgen dann einpackten. Er zog die Mundwinkel runter und ließ pausenlos den Kopf hin und her pendeln. Wir kannten diese Geste an ihm, sie bedeutete Trauer. Nur mühsam bezwang ich mich, nicht zu heulen, und auch Vater begann schon zu schlucken. Aber im Hausflur legte der Gibbon Vater plötzlich die langen Arme um den Hals, und da räusperte Vater sich, und wir machten wortlos kehrt und legten den Gibbon wieder ins Bett. Doch in der Nacht fing er an, in seiner Blätterzerknacksprache zu reden, und da wussten wir, morgen musste er weg, er würde sonst sterben vor Hunger. Ich war zu erledigt, um zum Zoo zu gehen; so sagte Vater ihnen Bescheid. Aber als er dann wiederkam und sagte, er hätte es wirklich getan, da hielt ich es nicht aus, dabei zu sein, wenn sie ihn holten; und ich lief weg und versteckte mich bis zum Abend. Gegen sieben kam ich zurück. Vater hatte schon eingekauft; er stand am Fenster und sah raus auf den Hof, wo in der abgestorbenen Ulme die Drossel ihr Abendlied sang. „Iss“, sagte er. „Und du –?“, fragte ich. Vater sagte, er hätte schon. Ich sah erst das Brot an, darauf die Wurst; von beidem war noch nichts abgeschnitten. Da trat ich neben ihn, und wir kuckten eine Weile zusammen auf die Müllkästen runter. „Am liebsten“, sagte ich, „würd ich’s vergraben.“ „Geht mir genauso“, sagte Vater. 170 175 180 185 190 195 200 205 210 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt um d es C .C . B uc hn er V er la gs | |
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