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193Geschichte erzählt „Ich möcht’ mal wissen, wie das auf dem Kongress zugegangen ist“, überlegte das Stubenmädchen laut und stellte das Frühstücksgeschirr zurück auf das Tablett. „Viel gearbeitet haben die wohl nicht“, erwiderte das zweite Stubenmädchen, „wenn ich mir nur die beiden russischen Grafen anschaue, die bei uns gewohnt haben. Morgens sind sie kaum aus den Federn gekommen, und nach dem Frühstück sind sie in irgendein Palais verschwunden. Nachmittags saßen sie dann in einem anderen vornehmen Haus, und abends erholten sie sich von den ‚Strapazen‘ bei einem rauschenden Fest.“ „Du hättest wohl gern mitgetanzt, was?“ „Nein, aber mein Geld würde ich gerne auch so leicht verdienen wie die auf dem Kongress. Stell dir vor, ich habe gehört, dass viele Beschlüsse auf dem Kongress gar nicht durch Verhandlungen zustande gekommen sind, sondern durch Bestechung. Es heißt, sogar unser nobler Herr von Metternich habe Zehntausende in seine Taschen fl ießen lassen, ohne dabei rot zu werden.“ „Drei Kreuze werd’ ich schlagen, wenn die hohen Herrschaften heut’ abgefahren sind“, maulte das zweite Stubenmädchen und schleppte den schweren Wäschekorb die Treppe hinunter. „Wieso?“, wollte das erste Mädchen wissen, das nun das Frühstücks tablett hinter ihr her balancierte. „Hast du von den Russen vielleicht kein gutes Trinkgeld bekommen?“ „Das schon, doch dafür hab’ ich auch monatelang Tag für Tag geschuftet. Die haben mir also nichts geschenkt. Überhaupt befürcht’ ich, dass wir alle zusammen am Ende die Zeche für die feinen Herren zahlen werden.“ „Wir Stubenmädchen?“ „Ja, wir und alle anderen einfachen Leute. Erst gestern hab’ ich im Prater gehört, wie sich einige feine Herren über den Kongress unterhalten haben. Ich hab’ geglaubt, ich hör’ nicht recht: Unser Kaiser hat allein für die vielen Bälle, Empfänge, Feuerwerke, Bankette und was weiß ich vierzig Millionen Gulden ausgegeben! Vierzig Millionen! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viel das auf einem Haufen wär’. Die Leute auf den Straßen erzählen sich einen Witz über die hier in Wien versammelten gekrönten Häupter: Der König von Württemberg frisst für alle, der König von Bayern säuft für alle, der König von Preußen denkt für alle, der Zar von Russland liebt für alle, und der Kaiser von Österreich zahlt für alle.“ – „Und woher nimmt unser allergnädigster Kaiser das Geld?“ „Dreimal darfst du raten. Ich sag’ dir: Der Kongress hat getanzt, und wir zahlen, bis wir schwarz werden.“ Dieter Brückner „Der Kongress hat getanzt …“ 4492_1_1_2013_192_214.indd 193 28.02.13 15:06 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la g | |
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