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125 Die Verfassung Das neue Deutsche Reich war ein Bundesstaat. Neben „Preußen“, „Bayern“, oder „Württembergern“ gab es nun erstmals „Deutsche“ im staatsrechtlichen Sinne. Doch das Deutsche Kaiserreich war kein reiner Nationalstaat: Im Osten lebten pol nische Bevölkerungsteile (2,4 von rund 41 Millionen Einwohnern), im Wes ten gab es fran zösisch spra chige Elsässer und Lothringer sowie im Norden Einwohner dänischer Herkunft. Die Reichsverfassung entsprach im Wesentlichen der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Abgesehen von den Sonderrechten der süddeutschen Staaten war das Reich unter anderem zuständig für Staatsbürgerrecht und Auswanderung, für Gewerbe und Versicherungen, Zoll und Handel, für Währung, Maße und Gewichte, die öffentlichen Eisenbahnen, für Post und Telegrafie, das Bankwesen, für Heer und Marine, für den Schutz des Außenhandels, für Presse und Vereine ebenso wie für Strafund Handelsrecht. Ab 1873 wurde die Zuständigkeit des Reiches auf das gesamte bürgerliche Recht ausgedehnt. Die deutsche Rechts einheit auf dem Gebiet des Privatrechts wurde erst mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) am 1. Januar 1900 hergestellt. Die Organe Das Präsidium des Reiches stand dem König von Preußen zu. Er trug den erblichen Titel Deutscher Kaiser. Er konnte im Namen des Reiches Kriege erklären und Frieden schließen. Er hatte den Oberbefehl über die Streitkräf te und besaß das Recht, Bundesrat und Reichstag einzuberufen und aufzulösen. In der Gesetzgebung wirkten Bundesrat und Reichstag gleichberechtigt zusammen. Beide hatten das Recht der Gesetzesinitiative. Für ein Reichsgesetz waren Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen erforderlich. Der Bundesrat setzte sich aus Mitgliedern des Bundes zusammen. Er zählte 58 Stimmen, von denen Preußen allein 17 besaß. Den Vorsitz im Bundesrat hatte der vom Kaiser zu ernennende Reichskanzler. Er war vom Vertrauen der Abgeordneten des Reichs tages unabhängig, musste sich allerdings bei neuen Gesetzen und bei der Genehmigung des Haushalts (Budget) um Mehrheiten im Reichstag bemühen. Dem Reichstag gehörten 382 Abgeordnete an (plus 15 Abgeordnete für Elsass-Lothringen ab 1873). Sie erhielten von 1906 an Aufwandsentschädigungen (Diäten). Das Wahlrecht Das Wahlgesetz für den Deutschen Reichstag war im Vergleich zum preu ßischen Drei-Klassen-Wahlrecht* sehr fortschrittlich. Es wurde von der Bevölkerung aber erst allmählich angenommen. In jedem der 397 Wahlkreise des Reiches konnte ein Abgeordneter in allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Wahl gewählt werden. Frauen waren aber noch nicht wahlberechtigt. Es galt das Mehrheitswahlrecht. Erreichte im ers ten Wahlgang keiner der Kandidaten mehr als 50% der Stimmen, gab es eine Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Kandidaten. Die Folge des Mehrheitswahlrechtes war, dass kleinere Parteien weniger Abgeordnete stellten als sie reichsweit an Stimmenanteilen erhalten hatten. So konnten die Sozialdemokraten 1871 3,2 % der Stimmen auf sich vereinigen, in den Reichstag aber nur mit zwei Abgeordneten einziehen, was einem Mandatsanteil von 0,5% entsprach. * Lies dazu nochmals Seite 65. Verfassung – Wahlrecht –Parteien 1 Bismarck im Reichstag. Gemälde von Anton von Werner, 1888 (Ausschnitt). 4743_113_128_q7.qxd 12.08.2016 8:05 Uhr Seite 125 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei g nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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