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An diese Haltung schließt die Tradition an, Kriege um Werte und Bürgerrechte für selbstverständlich zu halten. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg machte den Anfang. Die Aufständischen rebellierten gegen den englischen König. Ihr Ziel war die Verfassungsforderung: „No taxation without representation“, keine Besteuerung ohne politische Vertretung. Der amerikanische Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts wiederum steht wie kaum ein anderer für das Ringen der Nation um gleiches Recht für alle. Und der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg sollte nach den Worten von Woodrow Wilson „die Welt für die Demokratie sicher machen“. Als „Kreuzzug für die Freiheit“ galt den Amerikanern dann der Zweite Weltkrieg. Der amerikanischen Politik ist so etwas wie ein Missionsgedanke eingeschrieben. Es gilt, die Menschheit mit den Werten von Demokratie und Freiheit zu beglücken – eine Tradition, die andere als Ansinnen empfi nden. So sind die Amerikaner schnell dabei, ihnen als unbotmäßig erachtete Regierungen zu stürzen, und dies meist nicht zum Schaden eigener Wirtschaftsinteressen. Vor allem die, wenn auch schon etwas weiter zurückliegenden Interventionen im „Hinterhof“ ihres Halbkontinents, besonders in Mittelamerika, sind ihrem Ruf nicht gut bekommen. Dazu kam, dass Washington in der Zeit des Kalten Krieges gefl issentlich ignorierte, ob ein Regime den Maßgaben von Demokratie und Menschenrechten folgte. Wichtig war allein, ob es sich auf der richtigen Seite der neuen Front einfand. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind wenig gelitten. Ob die ihnen inständig entgegengebrachte Abneigung Folge ihres Handelns oder Ausdruck ihres Seins ist, lässt sich nur schwer ausmachen. Vieles spricht dafür, dass ihre bloße Existenz Antipathien hervorruft. Ob es sich – wie im 19. Jahrhundert gang und gäbe – um einen tief im bürgerlichen Milieu verankerten aristokratischen Widerwillen gegenüber den „Gleichheitsfl egeln“ (Heinrich Heine) handelte oder um die Identifi zierung Amerikas als Ursprungsland von Geldherrschaft und Kapitalismus – alles weist darauf hin, dass das Land für die dunkle Seite der Moderne haftet. [...] Heute, nach dem Ende des ideologischen Gegensatzes zwischen westlichem Liberalismus und östlichem Kommunismus, zwischen Freiheit und wortwörtlich verstandener Gleichheit, zeigen sich innerhalb der westlichen Demokratien – zwischen Europa und Amerika – zunehmend markante Unterschiede: bei der Bereitschaft zur Gewaltanwendung nach außen, im wirtschaftlichen Gebaren, bei der politischen Partizipation. Vor allem aber in Fragen der sozialen Sicherung und in dem Verständnis von Arbeit und Arbeitsbedingungen. Während in Europa die Verknüpfung von Nationalstaat und Sozialstaat über lange Dauer gewachsene Anwartschaften verbürgte, kennt Amerika als ein sich beständig neu erfi ndendes Einwanderungsland solch weitreichende Garantien nicht. [...] In Gemeinwesen vornehmlich kontinentaler Tradition ist die Gesellschaft dem sie voraussetzenden Staat erwachsen. Amerika hingegen ist – wie Hegel beobachtete – im Prinzip eine bürgerliche Gesellschaft ohne Staat. Selbstredend nicht gänzlich ohne Staat, aber mit bei Weitem weniger Staat als in Europa. [...] All dies lässt sich als zivilisatorischer Ausläufer der „Atlantischen Revolution“ verstehen: des historischen Prozesses der Individualisierung und der gesellschaftlichen Beschleunigung, der das Antlitz der Welt rapide verwandelt. Amerika mit dieser Entwicklung in eins zu setzen – so, als sei es sein Verursacher und nicht sein erstes und deshalb auch am weitesten fortgeschrittenes Produkt –, ist ein weitverbreiteter Irrtum. Dass Amerika „im Anfang“ (Locke) dieser Entwicklung war, ist jener ungewöhnlichen kolonialen Konstellation geschuldet, aus der es erwachsen ist. Es konnte als eine Kopfgeburt der Aufklärung gleichsam aus sich heraus die Menschheit erfi nden. Damit ist nicht angezeigt, Amerika sei die Menschheit […]. Aber die Vereinigten Staaten von Amerika kommen dem Konzept der Menschheit näher als jedes andere real existierende Gemeinwesen. Dan Diner, Vorreiter der Moderne. Warum sind die Vereinigten Staaten vielen Menschen so suspekt?, in: Spiegel Special Geschichte 4/2008, S. 141 143 Historische Beispiele als Argumentationsgrundlage bzw. Beleg für Kernthese Fakten und Thesen erläutern und untermauern Argumentation im historischen Kontext Synthese der Argumentation (USA ist vielen suspekt, weil sie für „dunkle Seite der Moderne“ stehen) Erläuterung der Synthese (Gegensätze zwischen Europa und Amerika als Grund für Skepsis) Zugespitzte Synthese der Argumentation Abschließende Stellungnahme/Fazit spannt Bogen zur Ausgangsthese 50 55 60 65 70 75 80 85 90 225 Nu r z u P üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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