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315Die deutsche Nachkriegsgeschichte im Spiegel der Geschichtskultur Die Geschichtskultur des vereinigten Deutschland Mit dem Beitritt der DDR verschwanden auch deren Geschichtskultur und symbolische Repräsentationen. Die Staatsbezeichnung des vereinigten Deutschland, die Flagge und Hymne waren diejenigen der Bundesrepublik. Die materielle Folie der DDR-Geschichtskultur, d. h. die Namen der Straßen, Plätze und Institutionen, die Denkmäler und symbolträchtigen Gebäude, so beispielsweise der ehemalige „Palast der Republik“, verschwanden, während sich Benennungen, die sich an der Geschichtskultur der alten Bundesländer orientieren, allmählich auch im Beitrittsgebiet verbreiten. Die Bundesrepublik wandte sich, anders als nach 1945, unverzüglich der Aufarbeitung der Vergangenheit zu. Die Verbrechen der DDR-Diktatur wurden öffentlich gemacht, den Opfern wurde materiell und symbolisch Genugtuung verschafft, die Täter wurden bestraft. Für die Geschichtswissenschaft gilt das Thema DDR inzwischen als „überforscht“. Geschichtskulturell aber hat das Thema, vor allem in den Facetten „Repression und Mangel“, weiter Konjunktur. Möglicherweise deutet sich hier die Entstehung eines neuen Geschichtsmythos an: Wenn in geschichtskulturell ausgerichteten Reden der Politik die DDR thematisiert wird, kommen fast ausschließlich nur deren Verbrechensbilanz und die Beschränkungen eines Lebens in der DDR zur Sprache. Durch die Akzentuierung der düsteren Voroder Parallelgeschichte kann so auch auf geschichtskulturellem Wege das durch Krisen angegriffene Selbstbewusstsein Deutschlands gestärkt werden. Diese offi zielle Art der Erinnerung an die DDR wird jedoch nicht von allen Ostdeutschen geteilt (u M4). Ein zentraler Geschichtsmythos der bundesdeutschen Geschichtskultur ist die Rede von der Wieder vereinigung. Es ist ein Mythos, weil das vereinigte Deutschland etwas völlig Neues ist. Weder war das Gebiet der heutigen Bundesrepublik schon einmal zuvor ein Ganzes, das erst getrennt und dann wiedervereint worden wäre, noch wurden 1990 die Territorien des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1914, 1933, 1937 oder anderer Konstellationen wiedervereint. Emotional suggeriert die Rede von der Wiedervereinigung die gemeinsame Erlösung von der Trennung oder einen tröstlichen Heilungsprozess der deutschen Geschichte. Realpolitisch erkennt die Rede von der Wiedervereinigung implizit die europäische Nachkriegsordnung an und unterscheidet sich dadurch von einer einst wichtigen Formel bundesdeutscher Politik, dergemäß „die deutsche Frage noch offen“ sei und die „derzeit unter polnischer, tschechischer und russischer Verwaltung stehenden deutschen Gebiete“ wiedereingegliedert werden müssten. Auffällig an der Geschichtskultur des vereinigten Deutschland ist, dass sich kein Revolutionsmythos herauszubilden scheint (u M5). Dabei trug die „friedliche Revolution“ zum Ende der SED-Diktatur bei und die legendäre Leipziger Demonstration vom 9. Oktober 1989 schuf die Voraussetzung für die friedliche Maueröffnung am 9. November 1989. Immer noch scheint stattdessen der niedergeschlagene Volksaufstand vom 17. Juni zu einem „Großmythos“ (Edgar Wolfrum) aufgebaut zu werden. Allmählich schwindet im vereinigten Deutschland die Scheu, sich darüber hinaus tiefer in der Geschichte zu verankern. Beispiele sind Fernsehsendungen wie „Unsere Besten“, in der das ZDF 2003 durch die Zuschauer die 100 wichtigsten Deutschen küren ließ, oder die beiden Zehnteiler „Die Deutschen“ aus den Jahren 2008 und 2011. i Ende der DDR-Geschichtskultur. Foto von 1993. Wenige Jahre nach der politischen „Wende“ von 1989 wird im Osten Berlins ein Haus abgerissen, an dessen Fassade noch für das längst geschlossene Museum für deutsche Geschichte geworben wird. Nu r z u Pr üf zw ck en Ei g nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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