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Tatort Teilung: die Gedenkstätte Berliner Mauer als außerschulischer Lernort 323 M1 Ist jeder des Erinnerns würdig? 2009 beschäftigt sich der Journalist Thomas Denkler mit der Frage, ob an die an der Mauer getöteten DDR-Grenzsoldaten ebenso erinnert werden sollte wie an die getöteten Flüchtlinge: Offenbar ist nach dem Tod nicht jeder gleich, nicht jedes Opfer wie das andere Opfer – zumindest, wenn es um die Toten an der Berliner Mauer geht. Das […] „Biographische Handbuch“ über die Todesopfer an der Berliner Mauer von 1961 bis 1989 weist 136 Todesopfer aus. Darunter [...] auch die acht Grenzsoldaten, die in Erfüllung ihrer Dienstpfl icht umkamen. Sie sind Opfer, das haben die Autoren des Handbuches geklärt. Und doch lautet die auch am heutigen Mauergedenktag schwierige Frage: Sind diese acht des Erinnerns unwürdige Opfer, während alle anderen des Erinnerns würdig sind? Im Herbst soll in der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße in einem „Fenster der Erinnerung“ den Opfern der Grenze mit Foto und Namen gedacht werden. Es wird der zentrale Gedenkort für die Maueropfer in der Bundesrepublik werden. Das erklärte Ziel der Initiatoren war, den Opfern ein Gesicht zu geben, eine Geschichte, sie zu lösen von Zahlen und Statistiken. Wer das biografi sche Handbuch liest, wird höchst unterschiedliche Menschen mit höchst unterschiedlichen Hintergründen kennenlernen. Das gilt sowohl für die erschossenen Flüchtlinge, wie für die, die nur zufällig an der Mauer den Tod fanden. Es ist das Verdienst der Autoren, diese Biografi en sachlich und unideologisch aufbereitet zu haben. Wie die der acht getöteten Grenzsoldaten. Einer wurde versehentlich erschossen, weil er für einen Flüchtling gehalten wurde. Ein anderer wurde bei einem Schusswechsel mit der West-Berliner Polizei von einem Querschläger tödlich verletzt. Wieder ein anderer wurde von einem Flüchtenden aus nächster Nähe erschossen. Der Schütze kam später im Westen wegen Mordes ins Gefängnis. Die Geschichten der Grenzer sind so unterschiedlich wie die der 128 anderen Opfer. Diese acht aber werden nicht in das Fenster der Erinnerung aufgenommen, diesen acht dürfen ihre Angehörigen nicht an zentraler Stelle gedenken. So hat es der Beirat der Stiftung Berliner Mauer kürzlich nach intensiver und durchaus kontroverser Diskussion beschlossen. Es habe die Gefahr bestanden, dass die Öffentlichkeit das „Fenster der Erinnerung“ als Ehrenmal wahrnehme, wurde argumentiert. Und dass sich Angehörige von getöteten Flüchtlingen davon verletzt fühlen könnten, wenn neben ihrem Kind, ihrem Bruder, ihrer Schwester diejenigen mit Bild und Namen zu sehen sind, die darauf trainiert waren, die Flucht aus der DDR zu verhindern. Doch andererseits: Die Grenztruppe der DDR war keine Freiwilligeneinrichtung. Es gab Soldaten, die haben bewusst nicht oder daneben geschossen, es gab aber auch Soldaten, die haben ohne Rücksicht draufgehalten. Es gab auch Flüchtlinge, die Grenzsoldaten erschossen haben, die später im Westen wegen Mordes oder Totschlags verurteilt wurden. Es gab auch Flüchtlinge, die sich durch Flucht einer Strafverfolgung in der DDR entzogen haben. Wer will da entscheiden, wer Täter, wer Opfer war? Es gibt hier kein ausschließlich gut und ausschließlich schlecht, es gibt kein schwarz, kein weiß, sondern – wie immer im Leben – viele Grautöne. Schon deshalb hätten die getöteten Grenzsoldaten mit in das „Fenster der Erinnerung“ gehört. Es geht um Mahnung, nicht um Ehrung. Es geht um Erinnerung an ein unmenschliches System, das nicht nur seine Gegner, sondern auch seine Unterstützer zu Opfern gemacht hat. Die Chance, dies deutlich zu machen, wurde vertan. Vielleicht braucht es noch ein paar Jahre, bis nach dem Tod endlich alle Opfer gleich sein dürfen. Kommentar von Thomas Denkler in der Süddeutschen Zeitung, 13. August 2009 M2 Eine moralische Botschaft Die Opferverbände bewerten die Entscheidung der Stiftung Berliner Mauer folgendermaßen: Die Union der Opferverbände der kommunistischen Gewaltherrschaft (UOKG) e. V. begrüßt das durch den Beirat der Stiftung Berliner Mauer abgegebene Votum, das im Rahmen der Erweiterung der Gedenkstätte Berliner Mauer geplante „Fenster der Erinnerung“ nicht dem Gedenken an getötete DDR-Grenzsoldaten zu widmen. Wir sehen darin eine eindeutige moralische Botschaft; zwar gehörten diese Militärangehörigen zu den Opfern des DDRGrenzregimes, gleichzeitig waren sie jedoch potenzielle Täter, durch deren Agieren das menschenverachtende Grenzregime aufrechterhalten wurde. Das abgegebene Votum würdigt nonkonformes Verhalten gegen die Diktatur und stellt ein Plädoyer für Zivilcourage angesichts totalitärer Strukturen dar. Aussage von Rainer Wagner, UOKG-Bundesvorsitzender, Berlin 3. Juli 2009 1. Fassen Sie in eigenen Worten die unterschiedlichen Auffassungen über das Gedenken an die Maueropfer zusammen und nennen Sie die jeweiligen Argumente. 2. Informieren Sie sich (arbeitsteilig) über die acht getö teten Grenzsoldaten (http://www.berliner-mauergedenkstaette.de/de/grenzsoldaten-456.html). 3. Nehmen Sie in einer Pround Kontra-Diskussion Stellung: Soll an getötete Grenzsoldaten ebenso erinnert werden wie an die Maueropfer? 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 5 10Nu zu P rü fzw ec e Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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