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278 Vergangenheitspolitik und „Vergangenheitsbewältigung“ „Vergangenheitsbewältigung“ in der Besatzungszeit Nach dem Ende des „Dritten Reiches“ hätten sich Millionen Deutsche die bittere Frage stellen können, welchen Anteil sie selbst an der jüngsten Vergangenheit hatten. In den ersten Nachkriegsjahren schien sich in der deutschen Bevölkerung jedoch eine Verweigerungshaltung durchzusetzen. Nur eine Minderheit war dazu bereit, über die persönliche oder kollektive Mitverantwortung nachzudenken (u M1). Für Scham und Trauer über das schuldhafte Verhalten und die Massenverbrechen fehlte es vielfach an Einsicht, aber auch an Kraft. Nach Krieg, Flucht und Vertreibung waren die Menschen bemüht, das eigene Schicksal und den Alltag zu bewältigen. Zudem war der zeitliche Abstand für eine selbstkritische Betrachtung zu gering. Viele Menschen täuschten Unkenntnis vor. Sie hätten nichts von den Verbrechen in den Konzentrationslagern gewusst. Die meisten sahen sich selbst als Opfer der nationalsozialistischen Ideologie und der bis zuletzt funktionierenden Propaganda. Andererseits gab es aber auch einige Intellektuelle und Politiker, die ein Eingeständnis der Schuld und eine „Wiedergutmachung“ forderten. Im August und Oktober 1945 bekannten sich die beiden großen Kirchen in offenen Briefen zu ihrer Verantwortung (u M2). Zu einem Großteil wurde die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit 1945 daher zunächst von den Alliierten angestoßen. Unmittelbar nach ihrem Einmarsch zwangen sie die Deutschen, die nationalsozialistischen Verbrechen wahrzunehmen. Das geschah beispielsweise im vormaligen Konzentrationslager Buchenwald oder in Lüneburg, wo die britische Besatzungsmacht die Bewohner der weiteren Umgebung nötigte, dem Bergen-Belsen-Prozess als Zuschauer beizuwohnen. In vielen Orten wurden die deutschen Verbrechen auch auf großen Foto-Schautafeln dokumentiert. In dieser ersten „Phase der politischen Säuberung“ (Norbert Frei), wurden Kriegsverbrecher, frühere nationalsozialistische Funktionäre, aber auch Mitläufer zur Rechenschaft gezogen. Der Nürnberger Prozess Die Alliierten hatten sich nicht zuletzt auf die Verfolgung und Verurteilung der deutschen Kriegsverbrecher geeinigt. Am 20. November 1945 eröffnete der Internationale Militärgerichtshof, zusammengesetzt aus Vertretern der Siegermächte, das Strafverfahren gegen die noch lebenden inhaftierten Vertreter der NS-Führung. Als Ort des Verfahrens wählte man Nürnberg, die Stadt der NS-Reichsparteitage. Angeklagt waren insgesamt 22 Einzelpersonen, ferner die Organisationen NSDAP, Gestapo und SD, SS, SA, die Reichsregierung und das Oberkommando der Wehrmacht. Die vier Anklagepunkte lauteten: 1. Verschwörung gegen den Frieden (Vorbereitung eines Angriffskrieges), 2. Verbrechen gegen den Frieden (Führen eines Angriffskrieges), 3. Kriegsverbrechen (Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung von 1907 durch Tötung und Misshandlung von Kriegsgefangenen, Hinrichtung von Geiseln, Misshandlung der Zivilbevölkerung, Verschleppung zur Zwangsarbeit), 4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Völkermord). Nach einjähriger Verhandlung wurden zwölf Angeklagte zum Tode verurteilt, sieben erhielten lange Haftstrafen, drei wurden freigesprochen. Von den angeklagten OrgaBesatzungszeit 1945 1949: „Umerziehung“ und „Entnazifi zierung“ Bergen-Belsen-Prozess: Als erster Prozess gegen jene, die die eigentliche „Tötungsarbeit“ in den KZ und Vernichtungslagern verrichtet hatten, wurde am 17. September 1945 in Lüneburg der „First Belsen Trial“ gegen den KZKommandanten, 20 weitere SS-Männer, 16 Aufseherinnen des Lagers und elf Funktionshäftlinge von einem britischen Militärgericht eröffnet. Der Kommandant, weitere sieben Männer und drei Frauen wurden zum Tode verurteilt. 19 Personen, darunter acht Funktionshäftlinge, erhielten Haftstrafen, die übrigen Freisprüche. Literaturtipp: Annette Weinke, Die Nürnberger Prozesse, München 22015 i „Diese Schandtaten: Eure Schuld!“ Foto aus Bad Mergentheim (Bayern), Juli 1945 (Ausschnitt). 4677_1_1_2015_276-311_Kap8.indd 278 17.07.15 12:09 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d es C. C. Bu ch ne V er la gs | |
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