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280 Vergangenheitspolitik und „Vergangenheitsbewältigung“ wurden. In allen drei Westzonen wurden mehr als 170 000 NS Aktivisten in Internierungslager gebracht („automatischer Arrest“), die meisten von ihnen aber bald wieder entlassen – die letzten 1948. Im März 1946 übergaben die Amerikaner die Entnazifi zierung in deutsche Hände. Jeder Deutsche über 18 Jahren musste einen Fragebogen mit 131 Fragen über seine berufl iche und politische Vergangenheit ausfüllen. Spruchkammern stuften in einem prozessähnlichen Verfahren die erfassten Personen in fünf Kategorien – Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete – ein und verhängten die vorgesehenen Strafen. Bei mehr als 13 Millionen Fragebögen in der US-Zone fi elen 3,4 Millionen Personen unter die Entnazifi zierung, zehn Prozent von ihnen wurden verurteilt, aber nur knapp ein Prozent tatsächlich bestraft. Es war die Zeit der „Persilscheine“, die man sich wechselseitig ausstellte, aber auch der Denunziation und der Korruption. Viele empfanden es als ungerecht, dass die harmloseren Fälle zuerst und mit Strenge, die verantwortlichen Nazis aber erst später und dann oft milde behandelt wurden. Außerdem gelang es zahlreichen schwer belasteten NS-Tätern, durch Tarnung und geschickte Anpassung an die neuen Verhältnisse durch die Maschen der Justiz zu schlüpfen – eine Hypothek, die später noch schwer auf der jungen Bundesrepublik lasten sollte (u M3). Die Sowjets führten die Entnazifi zierung sehr viel konsequenter als die Westalliierten durch. Aber auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden bereits frühzeitig ehemalige NS-Parteigenossen von einer Bestrafung ausgenommen, um ihnen eine Brücke in den neuen sozialistischen Staat zu bauen.* Mit Beginn des Kalten Krieges** wurde die Entnazifi zierung 1948 in der SBZ und um 1950 in den westlichen Besatzungszonen schließlich eingestellt. „Die schwungvoll gestartete Entnazifi zierung endet im Westen als Farce und im Osten als Selbstbeweihräucherung“, urteilte die Journalistin Irmgard Hochreither im März 2005. Viel nachhaltiger als die Entnazifi zierung erwies sich die Umerziehung der Bevölkerung zu Rechtsstaat und Demokratie. Auch hier waren die US-Amerikaner vorbildlich. Sie gestalteten das Erziehungswesen, Lehrpläne, Presse und Rundfunk um, hielten politische Kurse ab und richteten Amerikahäuser als kulturelle Begegnungsstätten ein. Auch in der SBZ gab es Umerziehungsmaßnahmen. Sie dienten jedoch vorrangig der Verbreitung von Kenntnissen über die Sowjetunion. * Vgl. dazu S. 283. ** Zum Beginn des Kalten Krieges siehe S. 488 490. „Persilschein“: im Volksmund Bestätigung, wonach jemand Gegner oder zumindest nicht Anhänger des Nationalsozialismus war 1. Beschreiben Sie die Intentionen der Besatzungsmächte bei ihrer Vorgehensweise gegen Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher. 2. Erläutern Sie die Bedeutung der Nürnberger Prozesse sowie der Nachfolgeprozesse für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. i „Ohne Worte.“ Karikatur aus der Zeitschrift „Wespennest“ von 1948. p Erläutern Sie die Aussage der Zeichnung. 4677_1_1_2015_276-311_Kap8.indd 280 17.07.15 12:09 Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d es C. C. Bu ch er V er la gs | |
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