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516 Konfl ikte und Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg M1 Für eine europäische Bundesordnung Einige Widerstandskämpfer aus Italien, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Dänemark, Polen und Jugoslawien sowie ein deutscher Nazigegner treffen sich in Paris und verkünden am 31. März 1944 folgendes Projekt: Der Frieden in Europa stellt den Schlüssel zum Frieden in der Welt dar. Tatsächlich ist Europa im Zeitraum einer einzigen Generation das Auslösezentrum zweier Weltkriege geworden, wobei hierfür wesentlich maßgebend war, dass auf diesem Kontinent 30 souveräne Staaten existierten. Es ist unerlässlich, gegen diese Anarchie anzugehen, indem eine Bundesordnung für die europäischen Völker geschaffen wird. Nur eine Bundesordnung wird die Teilnahme des deutschen Volkes am europäischen Leben gestatten, ohne dass es zur Gefahr für andere Völker würde. Nur eine Bundesordnung wird es gestatten, die Probleme der Grenzziehung in Gebieten mit gemischter Bevölkerung zu lösen, sodass diese Gebiete aufhören, der Gegenstand irrer nationalistischer Begehrlichkeit zu sein, womit sie zu reinen Fragen der territorialen Abgrenzung, der Verwaltungshoheit werden. Nur eine Bundesordnung wird die Erhaltung der demokratischen Institutionen in solcher Weise gestatten, dass die noch nicht politisch voll gereiften Völker die allgemeine Ordnung nicht gefährden können. Nur eine Bundesordnung wird den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Kontinents und die Ausschaltung der Monopole sowie der nationalen Autarkie gestatten. […] Es ist nicht möglich, schon jetzt die geografi schen Grenzen einer Bundesordnung vorzusehen, die den europäischen Frieden gewährleisten soll. Jedoch ist es angebracht festzustellen, dass diese Bundesordnung von Anfang an stark und umfassend genug sein muss, um der Gefahr zu entgehen, nur die Einfl usszone eines fremden Staates zu sein oder das Instrument für die Hegemonie-Politik eines Mitgliedes. Darüber hinaus muss sie von Anfang an allen Ländern offen stehen, deren Gebiet ganz oder teilweise in Europa liegt und die Mitglieder werden können und wollen. Zitiert nach: Curt Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung. Darstellung und Dokumentation 1945-2005, Bonn 2005, S. 44 f. 1. Ordnen Sie diese Erklärung in die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge ein. H Berücksichtigen Sie die militärische und politische Lage. 2. Beurteilen Sie die aktuelle Relevanz des „Projektes“. M2 Chancen für ein „Wiederaufl eben Europas“ Winston Churchill, 1946 Oppositionsführer im britischen Unterhaus, am 19. September 1946 vor Studenten in der Universität Zürich: Der erste Schritt bei der Neugründung der europäischen Familie muss eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland sein. Nur auf diese Weise kann Frankreich die moralische Führung Europas wiedererlangen. Es gibt kein Wiederaufl eben Europas ohne ein geistig großes Frankreich und ein geistig großes Deutschland. Die Struktur der Vereinigten Staaten von Europa, wenn sie gut und echt errichtet wird, muss so sein, dass die materielle Stärke eines einzelnen Staates von weniger großer Bedeutung ist. Kleine Nationen zahlen ebenso viel wie große und erwerben sich ihre Ehre durch ihren Beitrag zu der gemeinsamen Sache. Die alten Staaten und Fürstentümer Deutschlands, frei vereint aus Gründen gegenseitiger Zweckmäßigkeit in einem Bundessystem, können alle ihren individuellen Platz in den Vereinigten Staaten von Europa einnehmen. Ich versuche nicht, ein ausführliches Programm zu entwerfen für Hunderte von Millionen Menschen, die glücklich und frei sein wollen, zufrieden und sicher, die die vier Freiheiten1, von denen der große Präsident Roosevelt sprach, genießen und nach den in der Atlantik-Charta verankerten Grundsätzen2 leben wollen. Ist dies ihr Wunsch, so müssen sie es nur sagen, und gewiss fi nden sich Mittel und Möglichkeiten, um diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. […] Wenn es uns gelingen soll, die Vereinigten Staaten von Europa oder welchen Namen auch immer sie tragen werden zu errichten, müssen wir jetzt damit beginnen. Zitiert nach: Curt Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, a. a. O., S. 47 f. 1. Zeigen Sie auf, welche Struktur sich Churchill bezüglich der Vereinigten Staaten Europas und welche bezüglich Deutschland vorstellt. 2. Erläutern Sie Churchills These, dass nur in der Partnerschaft mit Deutschland Frankreich „die moralische Führung Europas wiedererlangen“ kann. 3. Ordnen Sie Churchills Überlegungen in die Nachkriegssituation ein. 1 Freiheit der Meinung, Freiheit der Religion, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht 2 Siehe S. 494 f. 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 4677_1_1_2015_482-535_Kap14.indd 516 17.07.15 12:19 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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