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Geschichte kontrovers Geschichte kontrovers 524 Die Europäische Union – eine Erfolgsgeschichte? Aus zwei Weltkriegen ging Europa zerstört, geteilt und geschwächt hervor. Frieden in Sicherheit und Freiheit wurde zur zentralen Forderung der Nachkriegszeit. Die Hauptgegner der Vergangenheit, Deutschland und Frankreich, begannen, sie umzusetzen. Ab 1951 entstanden in Westeuropa zunächst ein ökonomischer (EGKS und EWG) und dann ein politischer Zusammenschluss (EG, EU). 2012 erhielt die EU den Friedensnobelpreis für ihre Verdienste bei der Umwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem Kontinent des Friedens. Dieses Projekt mit möglichem Vorbildcharakter hatte und hat auch seine Schattenseiten, seine ungeklärten Probleme. Eine wichtige Frage stellt sich daher: Ist die EU-Geschichte eine Erfolgsgeschichte? M1 „Kein Gespenst von vorgestern …“ Paul Nolte lehrt Geschichte mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. In einem am 3. März 2012 in der Boulevard-Zeitung „Bild“ veröffentlichten Interview hält er fest: Europa, das war nach dem Zweiten Weltkrieg eine Geschichte von Frieden und Wohlstand. Deutschland und Frankreich, die alten Feinde, reichten sich die Hand. Nach der Nazi-Diktatur fand die Bundesrepublik auf der europäischen Straße in die Völkergemeinschaft zurück. Überall, wo in Europa Diktaturen stürzten und die Menschen Freiheit erlangten, strebten sie nach Europa: in Spanien, Portugal und Griechenland seit den 70er-Jahren, und nach dem Fall des Kommunismus in ganz Mittelund Osteuropa. Jetzt, inmitten der Krise, will Serbien Mitglied der Europäischen Union werden. Das europäische Erfolgsmodell ist kein Gespenst von vorgestern, sondern Realität von heute – und Auftrag für morgen. […] Meine Vision heißt deshalb: Europa muss wieder ein politisches Projekt werden. Als Geldverteilungsmaschine, als Löcherstopf-Apparat hat es keine Zukunft. Die Politiker müssen besser erklären, wofür Europa gut ist. Mit dem Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg ist es nicht mehr getan. Denn selbst die meisten Großeltern können ihren Enkeln davon nicht mehr berichten. Aber sie können erklären, dass die Zugehörigkeit zu Europa viel mehr ist als ein unverständlicher Rettungsschirm. Es ist der Schutz von Freiheit und Menschenrechten. Es ist die Bewegungsfreiheit über Grenzen, die erst zwei Jahrzehnte offen stehen. Es ist, gerade in Deutschland, Grundlage unseres Wohlergehens, auch im privaten Leben, vom Arbeitsplatz bis zu Reisen und Konsum. Zitiert nach: www.bild.de/politik/inland/europaeische-union/historikerpaul-nolte-beurteilt-euro-krise-22945040.bild.html [Zugriff vom 7. Juni 2015] M2 „Kein Friedensprojekt“ Peter Strutynski ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Kassel und Bundessprecher der Initiative „Friedensratschlag“. In einem Beitrag für das „Neue Deutschland“ kommentiert er am 8. Dezember 2012 die Vergabe des Nobelpreises an die EU: Nach Alfred Nobels letztem Willen sollten den Preis Menschen oder Organisationen erhalten, die „am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ haben. Drei frühere Nobelpreisträger […] haben beim Nobelpreis-Komitee gegen die Verleihung Protest eingelegt, indem sie darauf hinwiesen, dass die EU „eindeutig kein Vorkämpfer für den Frieden“ sei. […] Mit dem Lissabon-Vertrag 2009 verpasste sich die EU ein ansehnliches Instrumentarium militärischer Rüstungsund Interventionsfähigkeit. Zu nennen sind etwa: • eine Aufrüstungsverpfl ichtung („Verbesserung der militärischen Fähigkeiten“), • die Aufstellung von Krisenreaktionskräften (Battlegroups), • die Schaffung der „Europäischen Verteidigungsagentur“ und • eine allgemeine Beistandsverpfl ichtung, die der EU endgültig den Charakter eines Militärpakts verleiht. Über all dies schweigt sich das Nobelpreis-Komitee aus. […] Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU ist ein Tiefpunkt in der über 100-jährigen Geschichte dieser weltweit bedeutendsten Auszeichnung. Zitiert nach: www.ag-friedensforschung.de/themen/Friedenspreise/ nobel2012a.html [Zugriff vom 7. Juni 2015] 5 10 15 20 25 5 10 15 20 4677_1_1_2015_482-535_Kap14.indd 524 17.07.15 12:19 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt u de s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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