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54 Vom Hochimperialismus zum ersten „modernen“ Krieg der Industriegesellschaft den Kolonialmächten zusammenzuarbeiten. Dies zeigt sich daran, dass die Übernahme der Territorien weniger durch Überfälle und Eroberungskriege, sondern meist durch den freiwilligen oder erzwungenen Abschluss von „Schutzverträgen“ über die Abtretung von Land und Rechten erfolgte. Die Einheimischen interpretierten sie oftmals fälschlicherweise als Handelsund Bündnisverträge. Vor allem die Errichtung und Aufrechterhaltung der indirekten Herrschaft wäre ohne die Kollaboration einheimischer Führungsschichten in Asien und Afrika nicht möglich gewesen. Denn der Bevölkerung stand lediglich eine verschwindend kleine Anzahl Europäer gegenüber. Die Phase des Hochimperialismus bedeutete jedoch für die Kolonialvölker eine Zäsur: Die Errichtung der Kolonien erfolgte nun fl ächendeckend. Eisenbahnen und Straßen machten auch das Hinterland zugänglich. Die von militärischen Einheiten unterstützten Kolonialverwaltungen nahmen Eingriffe in die Besitzverhältnisse, das Rechtssystem, die Gesellschaftsstrukturen sowie die einheimischen Kulturen vor. Enteignungen und eine gesteuerte Preispolitik entzogen den Menschen die Lebensgrundlage. Diese wurden zudem gezwungen, die Sprache der Kolonialmacht zu lernen, sich europäischen Gesetzen und Normen zu beugen und ihre traditionellen Handelsund Wirtschaftsformen aufzugeben. Immer wieder kam es zu lokalen Aufständen gegen die Fremdherrschaft oder kriegerischen Auseinandersetzungen. Die waffentechnisch weit überlegenen Kolonialmächte setzten sich dabei mit immer aggressiveren Methoden durch. Danach wurden die Repressionen meist verschärft, was zu neuen Konfl ikten führte. Ein in mancher Hinsicht typisches, jedoch besonders folgenschweres Beispiel ist der Aufstand der Herero in der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) im Jahre 1904. Seine Niederwerfung hatte die beabsichtigte und fast vollständige Vernichtung des Volksstammes zur Folge (u M5). Das Gebiet war 1884 unter den „Schutz des Deutschen Reiches“ gestellt, in Absprache mit Großbritannien ausgeweitet und schließlich zu einer Kolonie erhoben worden. Die Herero waren durch Händler und Kolonialgesellschaften in wirtschaftliche Abhängigkeit gebracht worden und verloren durch Verschuldung Land und Vieh. Neben wirtschaftlicher Ausbeutung, Diskriminierung und Unterdrückung sah sich das Volk einer parteiischen Gerichtsbarkeit der Kolonialherren ausgeliefert, die Raub, Mord und Vergewaltigung ihrer Landsleute nicht ahndete. Im Januar 1904 überfi elen die Herero einzelne Farmen, Handelsniederlassungen und Militärstützpunkte. 123 Europäer kamen um. Mithilfe massiver Truppenverstärkung besiegte der von der Reichsregierung beauftragte General Lothar von Trotha die Herero schließlich im August in der Schlacht am Waterberg. Von dort trieb Trotha das fl üchtende Volk in die abgeriegelte wasserlose Wüste, um es verdursten zu lassen. Durch Krieg und Gefangenschaft kamen möglicherweise 80 Prozent der Herero um. Das Vorgehen gegen die Herero wird vielfach als Völkermord (Genozid) betrachtet. i Gefangene Herero. Foto nach 1904 (Ausschnitt). Die Überlebenden des Aufstandes wurden zur Zwangsarbeit herangezogen und in weit entfernte Konzentrationslager deportiert, wo Hunderte von Gefangenen – darunter vor allem Frauen und Kinder – umkamen. Die Bezeichnung wurde von den Engländern geprägt, die zuvor während des Burenkrieges (1899 1902) derartige Lager in Südafrika errichtet hatten. i Passmarke aus Deutsch Südwestafrika. Alle Eingeborenen über sieben Jahre mussten ab 1907 Passmarken tragen, um Siedlern und Staat eine möglichst umfassende Kontrolle und schnelle Zugriffsmöglichkeiten auf billige Arbeitskräfte zu ermöglichen. Teilen Sie den Kurs in Arbeitsgruppen. Jede Arbeitsgruppe entscheidet sich für eine soziale Gruppe innerhalb des Deutschen Reiches: Arbeiter – Einzelhändler – Kleinbauern – Großbauern – Fabrikanten in den modernen Industriezweigen – Schwerindustrielle. Entwickeln Sie Vorstellungen davon, welche Erwartungen die jeweilige soziale Gruppe an koloniale Eroberungen hat, welche Probleme sie sieht und wie sie insgesamt zur imperialistischen Politik steht. 4677_1_1_2015_048-089_Kap2.indd 54 17.07.15 11:58 N r z u Pr üf zw ec ke Ei ge nt um de s C .C .B uc hn r V er la gs | |
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