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60 Vom Hochimperialismus zum ersten „modernen“ Krieg der Industriegesellschaft Mission festgelegt. Das Kongogebiet, auf das neben dem belgischen König auch Großbritannien, Frankreich und Portugal Ansprüche er hoben hatten, erklärten die Mächte zur neutralen Freihandelszone. Sie unterstellten es als Kongo-Freistaat der privaten Verwaltung des belgischen Königs. Zudem wurden allgemeine „Spielregeln“ für die Inbesitznahme neuer Gebiete vereinbart, um koloniale Rivalitäten künftig auszuschließen. Die internationale Anerkennung von Territorien sollte von nun an durch das Prinzip der „effektiven Kontrolle“ gewährleistet werden: Bei Annexionen reichten das Hissen einer Fahne oder Vertragsschlüsse mit den lokalen Machthabern nicht mehr aus; vielmehr musste die Übernahme eines Gebietes den anderen Mächten rechtzeitig bekannt und durch eine erkennbare Präsenz vor Ort mit festen Stützpunkten und einer entsprechenden Infrastruktur (z. B. Handelsstationen, Polizeitruppen, Missionsposten) kenntlich gemacht werden. Diese Verein barung beschleunigte den „Wettlauf“ der europäischen Staaten und die formelle Besitznahme von Territorien. Von der Faschoda-Krise zur Entente cordiale Auf der „Kongo-Konferenz“ hatten die Kolonialmächte zwar Regelungen für die formale Einnahme weiterer Gebiete getroffen. Der Fall, dass zwei Kolonialmächte gleichzeitig Anspruch auf ein und dasselbe Gebiet erhoben, wurde jedoch nicht berücksichtigt. Zu Konfl ikten kam es erneut zwischen den beiden größten Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien, die sich mit der weiteren Ausdehnung ihrer afrikanischen Besitzungen – die Franzosen von West nach Ost und die Briten von Nord nach Süd (Kap-Kairo-Linie) – aufeinander zu bewegten. Im Sudan bei dem kleinen Ort Faschoda (Kodok) am oberen Nil stießen die beiden Mächte schließlich 1898 aufeinander. Formell zählten die Engländer den Sudan zu ihrem Einfl ussbereich. Gleichzeitig rückte ein kleines französisches Expeditionskorps von Westen in das Land ein, um einen Stützpunkt am Roten Meer zu errichten. Da zunächst keine Seite auf ihre Ansprüche verzichten wollte und groß angelegte Pressekampagnen die nationalen Emotionen in beiden Staaten aufheizten, drohte sich die Situation zu einer gefährlichen internationalen Krise auszuweiten. Längst ging es nicht mehr nur um kolonialen Gebietsgewinn, sondern um die Demonstration des eigenen Großmachtstatus. Angesichts der Kriegsgefahr und seiner eindeutig schwächeren Position zog sich Frankreich schließlich zurück und traf im Frühjahr 1899 mit Großbritannien einen Interessenausgleich, bei dem das Niltal als britische und der westliche Sudan als französische Einfl usszone festgelegt wurde. Bis 1904 gelang es den beiden Mächten, weitere kolonialpolitische Gegensätze zu bereinigen und im selben Jahr ihr „herzliches Einvernehmen“ in einem danach benannten beiderseitigen Abkommen (Entente cordiale) zu besiegeln. Hierin erkannte Frankreich Ägypten endgültig als rein britisches Interessengebiet an, während England bereit war, den von Frankreich angestrebten verstärkten Einfl uss in Marokko zu billigen. Die Entente cordiale bewirkte in der Folge nicht nur eine politische Annäherung der kolonialen Erzrivalen Großbritannien und Frankreich in Übersee, sondern zunehmend auch eine Kooperation der beiden Staaten innerhalb des europäischen Mächtesystems. i Die Westafrika-Konferenz in Berlin. Holzschnitt nach einer Zeichnung Hermann Lüders von 1884. „Ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass in unserem Kreis keine Eingeborenen vertreten sind, und dass die Beschlüsse dennoch von größter Wichtigkeit für sie sein werden.“ Mit diesen Worten eröffnete der britische Vertreter und Botschafter in Berlin, Sir Edward Malet, am 15. November 1884 die Westafrika-Konferenz. Auf der fünf Meter hohen Afrikakarte im großen Festsaal des Kanzleramtes wurde der Kontinent mit dem Lineal aufgeteilt. 4677_1_1_2015_048-089_Kap2.indd 60 17.07.15 11:58 Nu r z u P üf zw ec ke n Ei ge nt um d s C .C .B uc hn er V er la gs | |
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