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62 Vom Hochimperialismus zum ersten „modernen“ Krieg der Industriegesellschaft an der Südwestküste Afrikas unter deutschen Reichsschutz. In Westafrika (Togo und Kamerun) wurde der Reichskommissar Gustav Nachtigal in diesem Sinne für die Gebiete weiterer Handelshäuser und Gesellschaften tätig. Es folgten Ostafrika (heute Tansania, Burundi und Ruanda) sowie einige Südseeinseln (u. a. „Deutsch-Samoa“). Zu diesem Zeitpunkt rückte auch bereits die günstig gelegene chinesische Bucht Jiaozhou (Kiautschou) in den Blick, die aber erst 1897 unter deutsche Herrschaft geriet. Im Jahr 1887 gelang Bismarck – trotz des angespannten Verhältnisses mit Russland – der Abschluss des Rückversicherungsvertrages. Nach neuerlichen Spannungen auf dem Balkan wollte Bismarck dem Zarenreich die Angst vor einem deutsch-österreichischen Angriff nehmen und seine Annäherung an Frankreich verhindern, die von der russischen Presse gefordert wurde. Nicht den Buchstaben, aber ihrem Geist nach standen Zweibund und Rückversicherungsvertrag in einem gewissen Spannungsverhältnis. Bismarck ermutigte Russland zu einer Politik, den Status quo im Südosten Europas zu verändern. Österreich-Ungarn dagegen wollte keine Veränderung, um die slawischen Völker in seinem Staatsverband zu halten. Doch die im November 1887 getroffene Entscheidung, Russland dringend benötigte Kredite von deutschen Banken nicht mehr gewähren zu lassen („Lombardverbot“), bereitete die spätere Annäherung zwischen Russland und Frankreich mit vor, da Frankreich die benötigten Anleihen anbot. Die gewünschte Intensivierung der Beziehungen zu Großbritannien gelang Deutschland schließlich durch den Abschluss der sogenannten Mittelmeerentente 1887: Das Deutsche Reich unterstützte den Geheimvertrag, durch den sich Großbritannien, Österreich-Ungarn und Italien auf die Aufrechterhaltung des Status quo im Mittelmeerraum und den Erhalt eines unabhängigen Osmanischen Reiches verpfl ichteten. Ein Bündnis mit Großbritannien scheiterte jedoch, unter anderem am Protektionismus des Deutschen Reiches und an der deutschen Kolonialpolitik. Ein „Platz an der Sonne“: Deutschlands Einstieg in die Weltpolitik Unter Kaiser Wilhelm II. setzte eine grundsätzliche Umorientierung der deutschen Außenpolitik ein. Mit dem beeindruckenden Aufstieg des jungen Staates war auch das nationale Selbstbewusstsein gewachsen. Vielen Zeitgenossen genügte die von Bismarck geprägte defensive und hauptsächlich auf europäischen Ausgleich bedachte „Kontinentalpolitik“ nicht mehr. Deutschland müsse seinen Anspruch als „Weltmacht“ durchsetzen, der dem deutschen Großmachtstatus angemessen sei (u M2). 1897 brachte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bernhard von Bülow, diese von vagen Stimmungen und Interessen geprägte neue Weltpolitik in einer Reichstagsrede programmatisch auf den Punkt: „Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen einen Platz an der Sonne.“ Das Resultat war eine sprunghafte und aggressive deutsche Politik, die im Ausland als unberechenbar empfunden wurde. Flottenwettrüsten und veränderte Bündniskonstellationen Programmatischer Bestandteil der energisch verfolgten deutschen „Weltpolitik“ war die Entscheidung zum Aufbau einer großen Schlachtfl otte. Admiral Alfred von Tirpitz, der seit 1897 als Staatssekretär das Reichsmarineamt leitete, setzte dies in einem Flottenbauprogramm um, dessen Notwendigkeit er mit großem Agitationsaufwand propagierte. Umfassende Werbeaktionen einfl ussreicher nationalistischer Verbände, wie des Alldeutschen Verbandes oder des Deutschen Flottenvereins, verschafften dem Flottengedanken in weiten Teilen der Bevölkerung große Popularität. Für die Durchsetzung seiner Pläne konnte Wilhelm II. (1859 1941): 1888 1918 König von Preußen und Deutscher Kaiser. Er setzte den Rücktritt Bismarcks durch. Seine Vorstellungen von Gottesgnadentum und Weltmacht sowie seine Einstellung zum Militär (Militarismus) prägten die „Wilhelminische Gesellschaft“. Alfred von Tirpitz (1849 1930): Admiral, ab 1897 Staatssekretär. Er entwickelte einen Plan zum massiven Ausbau der deutschen Kriegsfl otte. 4677_1_1_2015_048-089_Kap2.indd 62 17.07.15 11:58 Nu r z u Pr üf zw ck en Ei ge nt u d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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