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1435.1 Friedensnobelpreis für die EU – Pro und Kontra M4 Amnesty International: Nur eingeschränkte Zustimmung Das Nobelpreiskomitee hatte gute historische Gründe, der Europäischen Union den Friedensnobelpreis zu verleihen. Europa habe gezeigt, so das Komitee in seiner Begründung, „wie historische Feinde durch gut ausgerichtete Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können.“ Mit dem Preis wolle man den Blick auf die „Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens“ lenken, so das Komitee […] Was also erwarten wir von der EU in der Zukunft? Was muss die Europäische Union tun, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden? Ich kann hier nur für den Bereich der Menschenrechte sprechen. Und da gibt es noch viel Luft nach oben. Die Aussage des Nobelkomitees, die EU habe bisher einen „erfolgreichen Kampf für die Menschenrechte“ geführt, kann ich jedenfalls nicht uneingeschränkt unterschreiben. Die Bilanz ist gemischt. Zum Beispiel spielten zwar in Beitrittsverhandlungen die Menschenrechte immer wieder eine große Rolle und in den Kandidatenländern verbesserte sich daraufhin die Situation. Aber oft ging der Prozess nicht weit genug. Zum Beispiel wird in Kroatien – das nächstes Jahr EU-Mitglied werden soll – noch immer viel zu wenig getan, um die Kriegsverbrechen aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg aufzuklären. Als die EU 2011 grünes Licht für den Beitritt Kroatiens gab, waren noch immer etwa 700 Fälle von Kriegsverbrechen unaufgeklärt. Bei dem jetzigen Tempo der kroatischen Gerichte würde es 30 Jahre dauern, die noch anhängigen Fälle zu bearbeiten. Es sieht im Moment leider nicht danach aus, als würde der Beitritt zur EU daran viel ändern. […] Der EU fällt es schwer, Menschenrechtsprobleme in den eigenen Mitgliedstaaten überhaupt anzusprechen. So ist zwar seit 2009 die EU-Grundrechtecharta in Kraft und die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, starke Anti-Diskriminierungsgesetze zu erlassen. Aber auf die Diskriminierung von Roma in EU-Staaten wie Ungarn und Rumänien, aber auch Italien und Tschechien finden die EU-Institutionen keine angemessene Antwort. Und ist die Flüchtlingspolitik der EU einem Friedensnobelpreisträger angemessen? Europas Abschottungspolitik ist mitverantwortlich dafür, dass allein im Jahr 2011 über 1.500 Menschen im Mittelmeer umgekommen sind. Menschen, die sich in Europa Schutz vor Gewalt, Verfolgung und Not erhofften. Die EU-Staaten sind für ihren Tod mitverantwortlich, weil sie zwar bei der Sicherung der Außengrenzen zusammenarbeiten, aber kaum bei der Seenotrettung im Mittelmeer und der Sicherstellung eines fairen Asylverfahrens. […] Trotzdem hat das Nobelkomitee recht: Die EU hat sich auch Verdienste um den Schutz der Menschenrechte erworben. Wolfgang Grenz, Vor der eigenen Tür kehren, www.amnesty.de, 26.10.2012 40 45 50 55 60 65 5 10 15 20 25 30 35 EU-Asylpolitik J Kapitel 9 M5 Neoliberales Europa eines Nobelpreises unwürdig Thorbjørn Jagland, Chef des norwegischen Nobelkomitees, befand in seiner Laudatio, „dass Europa von einem Kontinent des Kriegs zu einem Kontinent des Friedens geworden ist“. Einen sozialen Frieden kann er damit kaum gemeint haben. Als sozialer Friedensstifter kann sich die Europäische Union weniger denn je rühmen, geschweige denn für eine solche Auszeichnung empfehlen. Millionen ihrer Bürger haben in den vergangenen Jahren erfahren müssen, wie rücksichtslos ihre soziale Existenz und Identität geschleift werden können. Dieses reale Europa lässt keinen Raum für all die prächtigen Visionen, wie sie im Rathaus von Oslo beschworen wurden. Es folgt den Imperativen der Hochfinanz und eines Unternehmertums, das im 5 10 15 Neoliberalismus Der Begriff Neoliberalismus meint im ursprünglichen Sinne jene Theorien der Wirtschaftswissenschaften, die sich von den wirtschaftswissenschaftlichen Theorien des Liberalismus abgrenzen bzw. diese „erneuern“ oder erweitern. Hier wird der Begriff jedoch im negativen Sinne verwendet. Kritisiert wird damit vor allem eine Wirtschaftspolitik, die von einseitiger Orientierung an den Interessen der Unternehmen und fehlender sozialer Sensibilität geprägt ist. Nu r z u Pr üf zw ec k n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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