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1575.4 Vertiefung: Soll der Beitrittskandidat Türkei Mitglied der EU werden? M17 Unterschiedliche Sichtweisen in Politik und Gesellschaft der Türkei zum EU-Beitritt Der Weg in die EU bedeutete für die Türkei in erster Linie Reformen, denn wie alle EU-Anwärter musste sie zuerst die 1993 in Kopenhagen formulierten Kriterien erfüllen: […] Für Beitrittsverhandlungen ist das Regelwerk in 35 Kapitel unterteilt, über die einzeln verhandelt wird. Seit Beginn der Beitrittsgespräche wurden allerdings erst 13 Kapitel eröffnet und nur das Kapitel „Wissenschaft und Forschung“ konnte abgeschlossen werden. Eine gegenseitige Annäherung wurde vor allem in den ersten Jahren der Beitrittsverhandlungen erzielt: Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdog˘an modernisierte das türkische Justizsystem, schaffte die Todesstrafe ab, beschnitt den traditionell starken Einfluss des Militärs auf die Politik und erlaubte Rundfunksendungen, Fernsehkanäle und Schulunterricht in kurdischer Sprache. […] Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdog˘an bekräftigte Ende Oktober (2012) bei seinem Besuch in Berlin, dass ein EU-Beitritt noch immer erklärtes Ziel der Regierung sei: Bis 2023 müsse sein Land in der Europäischen Union sein. Für die Türkei ist eine Mitgliedschaft in der Union neben politischen, vor allem auch aufgrund wirtschaftlicher Aspekte attraktiv: Förderungen der EU würden zum Beispiel die Modernisierung der Wirtschaft, besonders der Landwirtschaft, weiter vorantreiben. Auch würde die Türkei von umfangreichen Zahlungen aus dem Strukturfonds der EU profitieren. [...] Vor allem religiöse und ethnische Minderheiten oder politische Oppositionelle erhoffen sich durch einen Beitritt gesellschaftliche Veränderungen sowie mehr Redeund Pressefreiheit und politische Teilhabe. In der Gesamtbevölkerung ist der Europa-Enthusiasmus in den vergangenen Jahren allerdings verflogen. Während 2004, kurz vor Beginn der Beitrittsverhandlungen, noch 75 Prozent der Türken in die EU strebten, liegt die Zahl der Befürworter inzwischen bei weniger als 50 Prozent. Neben anderen Punkten ist auch die Euro-Krise für den Meinungswechsel verantwortlich: Denn während viele EUStaaten mit den Auswirkungen der Krise zu kämpfen haben, floriert die türkische Wirtschaft. Mit einem Wachstum von 8,5 Prozent war das Land 2011 die am zweit schnellsten prosperierende Volkswirtschaft der Welt nach China. Anders als in den vergangenen Jahrzehnten versteht sich die Türkei inzwischen als mächtiger und stabiler Schlüsselstaat, auf den Europa angewiesen ist in wirtschaftlicher, aber auch geostrategischer und kultureller Hinsicht. Die Union, so Erdog˘an, brauche die Türkei, wenn sie als Friedensmacht in ihrer Nachbarschaft wahrgenommen werden wolle. Die Befürworter eines türkischen Beitritts unterstreichen außerdem, dass Europa von der kulturellen und ethnischen Vielfalt der Türkei nur profitieren könne. Mit einer Aufnahme der Türkei würde die EU allerdings an Länder wie Syrien, Iran und Irak grenzen. Und gegen diese Nähe gibt es zahlreiche Vorbehalte, da die Staatengemeinschaft dann auch näher an zentrale Konfliktgebiete im Nahen Osten heranrücken würde. Kritiker eines Beitritts argumentieren auch, Europa ende rein geografisch am Bosporus und ein muslimisch geprägtes Land könne nicht die historisch und kulturell tradierten Wertevorstellungen der christlich geprägten EU teilen. Hinzu kommt ein weiterer Punkt, den Kritiker als Argument gegen einen Beitritt der Türkei anführen: Die Aufnahmefähigkeit der EU selbst. Im Juli 2013 soll Kroatien als 28. Mitgliedstaat in die Union aufgenommen werden. Mit Island und Montenegro laufen derzeit Verhandlungen. Die Fähigkeit der EU-Institutionen, Entscheidungen zu treffen, und die finanziellen Kapazitäten der Union dürften nicht überfordert werden, begründen Beitrittsgegner ihre Haltung. Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Vor 10 Jahren: EU beschließt Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, www.bpb.de, 12.12.2012 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn r V er la gs | |
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