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2779.3 Vertiefung: Kontroverse um die Zuwanderung M20 „Denkt bloß nicht, dass das aufhört“ Hunderte, Tausende ertrinken in diesen Wochen im Mittelmeer, Männer, Frauen, Kinder. So viele, dass wir es nicht mehr mit ansehen können, dass wir uns schämen. Oder zumindest: uns unserer Scham erinnern. Denn so geht es seit Jahren. Dass diese Nachrichten unerträglich sind, das ist die eine Wahrheit. Die andere lautet: Wir wollen auch nicht zu viele Flüchtlinge ertragen. Beides ist in Deutschland zurzeit immens: die Hilfsbereitschaft, aber auch Sorge und Furcht. Das Thema polarisiert wie kein anderes. […] Einfache Lösungen gibt es nicht, aber aus einer Illusion muss sich Europa lösen – aus der Illusion des Vorübergehenden. Anders als in den neunziger Jahren, in denen Hunderttausende vor den Bürgerkriegen auf dem Balkan gen Norden flohen, wird der Andrang diesmal so bald nicht wieder aufhören. Im Nahen Osten sind viele Diktaturen, die Gewalt ausgeübt haben, kollabiert. Sie halten uns die Menschen nicht mehr vom Leib. Stattdessen befindet sich beinahe die gesamte Region im Flächenbrand des Bürgerkriegs, der wohl lange dauern wird. Wir reden hier aller Voraussicht nach nicht über Jahre, eher über Jahrzehnte. […] Massenhafte Flucht ist in unserer Welt kein Extrem ereignis mehr, sondern sie ist etwas Normales geworden. In diesen Tagen geht es zunächst um die Menschen, die tagtäglich vor unseren Augen ertrinken. Doch geht es hier auch um ein epochales Problem. […] Wir reden dabei über alle Menschen, die nach Europa kommen wollen, ganz gleich, aus welchem Grund. Sie alle wollen nur eines: ein sicheres und menschenwürdiges Leben führen. Das heißt nicht, dass man unterschiedlichen Motiven und Schicksalen nicht auch unterschiedlich begegnen 45 50 55 60 65 70 75 80 5 10 15 20 25 30 35 40 kann oder muss. Aber für die Grundfrage, die wir uns auf den folgenden Seiten vorlegen, ist das gleichgültig: Sie wollen kommen – doch können, wollen oder müssen wir sie aufnehmen? […] Jeder, der über Flüchtlinge nachdenkt, wird von denselben Fragen gequält. In jeder Diskussion, ob unter Freunden, Kollegen oder in der Öffentlichkeit, werden sie gestellt. Wie wir damit umgehen, entscheidet darüber, wer wir sind und wer wir sein wollen – als Individuen, als Gesellschaft, als Europa. Auch quer durch die Redaktion gehen die Gräben der Meinungsverschiedenheit. Wir haben gestritten, haben mit Flüchtlingen, Politikern, Helfern gesprochen, sind gereist, haben Statistiken gewälzt und Berichte gelesen. Dabei haben sich zwei Positionen herauskristallisiert, über die wir in einem Dialog miteinander streiten: Die einen lehnen jede Regulierung der Zuwanderung ab – weil wir kein Recht hätten, Menschen abzuweisen, wenn das in letzter Konsequenz deren Tod bedeuten könne. Die anderen sagen: Es wäre schön, wenn wir jeden aufnehmen könnten, und wir können auch mehr tun als bislang, aber wir brauchen klare Regeln für die Zuwanderung, sonst steht in letzter Konsequenz der innere Frieden bei uns auf dem Spiel. Für beide Positionen gibt es gute Argumente. Doch auf jedes Ja folgt fast notwendig ein Aber. Wir haben den Dialog daher als Streitgespräch konzipiert […]. Und am Ende entstehen so die Umrisse zweier politischer Modelle, die miteinander konkurrieren. Bernd Ulrich, Heinrich Wefi ng, Denkt bloß nicht, dass das aufhört, DIE ZEIT, 17/2015, S. 2 9.3 Vertiefung: „Keine Regulierung der Zuwanderung“ oder „klare Regeln für die Zuwanderung“ – eine Kontroverse Hinweis zu Kapitel 9.3 Nach der Flüchtlingstragödie im April 2015 (J M12) ist in Europa wieder eine kontroverse Diskussion aufgefl ammt, die es schon mehrfach gegeben hat. Diese Debatte erstreckt sich auf zwei gegensätzliche Positionen: „Keine Regulierung der Zuwanderung“ oder „klare Regeln für die Zuwanderung“. In einer deutschen Wochenzeitung hat die Redaktion kontrovers diskutiert und ein Streitgespräch dokumentiert. In M20 ist die Problemstellung wiedergegeben und in M21 und M22 sind die unterschiedlichen Positionen dargestellt. Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um es C .C .B uc hn er V er la gs | |
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