Volltext anzeigen | |
Grundlagen: Eurosystem und Verschuldungskrise 117 Das Land wird international wettbewerbsfähiger: In der Rangliste des World Economic Forum rückte es vom 91. Platz im Vorjahr jetzt auf den 81. Platz vor. Die Modernisierung von Wirtschaft und Verwaltung kommt voran: Die Denkfabrik „Lisbon Council“ bescheinigte den Griechen derzeit das höchste Reformtempo aller EuroStaaten. Nach 24 Quartalen wirtschaftlicher Talfahrt dürfte Griechenland zum Wachstum zurückkehren. Auch die Anleger fassen wieder Mut: Die Rendite der fünfjährigen Staatsanleihe fiel von 4,95 Prozent bei der Emission im April auf aktuell 3,75 Prozent [vgl. Grafik S. 116]. Daraus spricht zwar mehr Vertrauen in die Europäische Zentralbank als in die Bonität [Kreditwürdigkeit] Griechenlands. Aber es ist abzusehen, dass sich Athen bald wieder zu vertretbaren Konditionen am Markt refinanzieren kann. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble spricht mit Blick auf Griechenland daher von einer „Erfolgsstory“. Den meisten Griechen kommt das jedoch wie blanker Hohn vor. Denn die Menschen zahlen einen immensen Preis für das, was Schäuble als „enorme Fortschritte“ bezeichnet. Der Sparkurs, den Athen auf Geheiß seiner internationalen Kreditgeber fahren muss, bescherte dem Land die tiefste und längste Rezession seit Kriegsende. Ein Viertel der Wirtschaftskraft wurde ausradiert. 230 000 kleine und mittelständische Betriebe gingen pleite. Rund eine Million Arbeitsplätze wurden vernichtet. Nach Berechnungen der OECD fielen die Einkommen der privaten Haushalte in der Krise um ein Drittel. Laut EU-Kommission sind vier von zehn Menschen in Griechenland armutsgefährdet. Dass sich daran schnell etwas ändert, ist nicht zu erwarten. Griechenland wird noch auf Jahrzehnte ein Sanierungsfall bleiben. Größtes Problem des Landes sind nun keineswegs die Schulden. Die Schuldenquote ist zwar hoch. Aber die Laufzeiten der Kredite sind so lang und die Zinsen [derzeit] so niedrig, dass die Schuldenlast durchaus tragbar ist. Viel besorgniserregender sind die sozialen Verwerfungen. Die OECD rechnet damit, dass die Arbeitslosenquote auch im nächsten Jahr bei 27 Prozent verharren wird. Das gewerkschaftsnahe Institut für Arbeit erwartet für 2020 eine Quote von immer noch 20 bis 22 Prozent. Die hohe Arbeitslosigkeit und die Einkommenseinbußen haben katastrophale Folgen für die Rentenkassen [vgl. Vertiefung, Kapitel 4]. Die Sozialkassen werden bis 2020 mindestens zehn Milliarden Euro zusätzlich benötigen. Sie leiden ohnehin unter der ungünstigen demografischen Entwicklung. Im Jahr 2055 wird das Land 24,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Renten aufwenden müssen, gegenüber 12,5 Prozent in Deutschland. Diese Zahl wirft ein Schlaglicht auf existenzbedrohende Zukunftsprobleme. Sie werden durch den Sparkurs noch verschärft. Die Geburtenrate ist seit 2008 um 15 Prozent gesunken und heute die niedrigste in der EU. Über 150 000 griechische Wissenschaftler sind ins Ausland abgewandert – ein beispielloser Braindrain. Das billige Geld der EZB kommt in Griechenland nicht an. Die Banken geben keine Darlehen, weil sie auf einem Berg fauler Kredite sitzen. Wie kann das Land unter diesen widrigen Bedingungen zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren? (Gerd Höhler: Der ewige Sanierungsfall, in: Handelsblatt v. 10.9.2014, S. 12) 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er V er la gs | |
![]() « | ![]() » |
» Zur Flash-Version des Livebooks |