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Kontroverse 139 Kontroverse 3: Soll die Geldpolitik starren Regeln folgen oder eigenmächtig je nach Lage entscheiden? Es geht hier nicht darum, ob die Zentralnotenbank ihre Ziele auf eine Zinssatzpolitik oder eine Geldmengenpolitik ausrichtet, sondern um das Wie der Geldpolitik. […] Einige Nationalökonomen stehen der – herrschenden – institutionellen Regelung kritisch gegenüber. Es könnte nämlich grundsätzlich anders sein, wenn das Entscheidungsgremium verpflichtet wäre, bestimmten vorgegebenen und nachvollziehbaren Wenn-Dann-Regeln zu folgen. Eine Regelbindung würde einen Automatismus der Geldpolitik bewirken. Das folgende Streitgespräch über wirtschaftspolitische Maßnahmen dreht sich um die institutionelle Regelung der Geldpolitik. Pro: Geldpolitik sollte strikt regelgebunden sein Diskretionäre [entscheidungsorientierte] Geldpolitik wirft zwei Probleme auf. Zum einen fehlen Schranken für Inkompetenz und Machtmissbrauch. Wenn man die staatliche Polizei irgendwohin schickt, etwa um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, hat sie strikte Verhaltensregeln und Dienstvorschriften. Da die Polizei große Macht hat, wäre es gefährlich, sie diese Macht ungeregelt nach eigenem Belieben ausüben zulassen. Wenn jedoch die Zentralbanken vom Staat die Zuständigkeit für die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Ordnung übertragen erhalten, bekommen sie keine Dienstvorschriften für die Durchführung der Geldpolitik. Den Geldpolitikern wird ohne weitere Vorschriften eine […] Politik nach eigenem Urteil gestattet. Als ein Beispiel für den Machtmissbrauch kann man die wiederholt zu bemerkende Versuchung von Zentralbanken anführen, ein Wahlergebnis zu beeinflussen oder wenigstens nicht zu stören. Auch eine völlig unabhängige und nur dem Stabilitätsziel verpflichtete Zentralnotenbank könnte mit einer expansiven Geldpolitik kurz vor einer Wahl den bisher Regierenden die Wiederwahl erleichtern. Vor allem dann wäre dies eine Wahlhilfe, wenn die Expansion der Geldmenge vor der Wahl die Produktion und die Beschäftigung anregen würde und wenn nach dem Wahltag erst die von der Expansion ausgelöste Inflation sichtbar würde. Auf diese Weise können Zentralbankpräsidenten, die mit der Regierungspartei (evtl. auch mit der Opposition) sympathisieren, zyklische Schwankungen nach dem Wahlkalender auslösen. Man spricht dabei gelegentlich von politischen Konjunkturzyklen. […] Da die Politiker und die Politik über die Zeit hinweg immer wieder inkonsistent [widersprüchlich] sind, zeigt die Bevölkerung bei Ankündigungen der Zentralnotenbank zur Senkung der Inflationsrate eine gesunde Skepsis. Die Leute erwarten stets eine höhere Inflationsrate als die offiziell angekündigte. Höhere erwartete Inflationsraten verschieben die kurzfristige Phillips-Kurve nach oben zu einer insgesamt ungünstigeren Konstellation der Alternativen von Inflation und Arbeitslosigkeit. Beide Schwierigkeiten […] könnten dadurch vermieden werden, dass man die Zentralnotenbank auf eine bestimmte Verhaltensregel festlegt. Beispielsweise könnte man eine Zentralnotenbank – ob es sich nun um die Fed in den USA oder um die Europäische Zentralbank handelt – per Gesetz dazu verpflichten, das Geldange30 35 5 10 40 45 soll gegen Arbeitslosigkeit, gegen Konjunkturflaute und jetzt gegen zu hohe Schulden helfen. Aber diese Melodie endet immer mit einem schrillen Missklang, wenn es nämlich darum geht, wieder zu „normalen“ Preissteigerungsraten zurückzukehren. Das ist dann nicht mehr so vergnüglich, da geht es dann um drastische Zinsanhebungen, um Rezession, um eine erhöhte Arbeitslosenrate, da will keiner mehr mitsingen. Selbst bei einer ganz unschuldig daherkommenden Inflation von zwei Prozent, also dem Ideal der westlichen Notenbanken, bleiben von 1000 Euro – ob geschuldet oder ob gespart – in zehn Jahren nur noch 817 an heutiger Kaufkraft übrig; bei einer Rate von vier Prozent sind das 665 Euro und bei fünf Prozent nur noch 599 Euro. Es ist gar kein Wunder, dass so viele Ratgeber auf Inflation und/oder finanzielle Repression [vgl. S. 101 f.] zum Schuldenabbau setzen! (Susanne Schmidt: Das Gesetz der Krise. Wie die Banken die Politik regieren, Droemer Verlag, München 2012, S. 100 f., 135) 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Nu r z u Pr üf zw ec ke n Ei ge nt um d es C .C .B uc hn er Ve rla gs | |
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