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Luise F. Pusch Goethe und sein lesbisches Veilchen (2010) Auszug Natürlich sahen wir das völlig anders. Der schönen Erkenntnis, dass „der Busen eindeutig weibliche Qualität hat“, stimmten wir fräudig [sic] zu, aber dass ausgerechnet das „herzige Veilchen“ ein Mann sein soll, nur weil es die junge Schäferin anhimmelt, ist doch wohl mehr als verschroben. Hier nun die korrekte Interpretation des Gedichts […]: Das Veilchen ist ein Mädchen, das für die junge Schäferin schwärmt und von ihr abgepfl ückt werden möchte, damit es an ihrem Busen ruhen und matt gedrückt, um nicht zu sagen plattgedrückt werden kann – eine todessüchtige, rührende und ziemlich pubertäre Vorstellung. Zwar glaubt es durch den „Tritt“ (die Nichtbeachtung) der Schäferin zu sterben, aber davon wird es sich erholen, schließlich ging diese „mit leichtem Schritt“. Richtig tödlich wäre es geworden, wenn die Schäferin den schwärmerischen Wunsch des Veilchens erfüllt und es abgepfl ückt hätte – wie einst der wilde Knabe das arme Heideröslein. Lehrer Schill aber macht lieber ein Veilchen zum Manne, als die Liebe eines Mädchens zu einer Frau oder einem Mädchen („das Mädchen kam“) in Betracht zu ziehen. […] Bei Lehrer Schill haben solche Mädchen keine Chance zu einer Spiegelung ihrer Gefühle durch unseren Dichterfürsten und im Unterrichtsgespräch. Er bleibt lieber bei seinem heteronormativen Modell, das doch an unseren Schulen nun allmählich genug Schaden angerichtet hat. 6 Begründe, welche der beiden Interpretationen dich eher überzeugt. 7 Luise Pusch, Professorin am Institut für Frauenbiografi e-Forschung in Münster, leitet ihre Ausführungen allerdings mit dem Satz ein „Über diese kühne Eingebung Goethes, das lesbische Veilchen und seinen Liebeswahn, wollte ich doch schon immer mal eine Glosse schreiben.“ Ziehe aus der Textgattung deine Schlüsse. 5 10 15 Spekulieren ist nicht Interpretieren Beim Interpretieren unterscheidet man beschreibende, deutende und wertende Aussagen. Auf der beschreibenden Ebene sind Aussagen selten strittig; sie können richtig oder falsch sein. Auf der deutenden und wertenden Ebene jedoch sind Aussagen in der Regel bestreitbar, d. h. ihre Stichhaltigkeit muss nachgewiesen werden. Interpretation meint genau dies: Argumentation für oder gegen ein bestimmtes Textverständnis. Dabei müssen alle Aussagen am Text überprüt und belegt werden. M E T H O D E 4 Schill beschreibt den Inhalt des Gedichts als „eine Geschichte voller Begehren und Gewalt“ (Z. 17 f.). Klärt die beiden Begriffe und diskutiert, ob sie hier zutreffen. 5 Prüfe, ob die folgende Antwort auf Schills Interpretation dem Gedicht Goethes besser gerecht wird. 127Interpretieren, nicht spekulieren N u r zu P rü fz w e c k e n E ig n tu m d e s C .C . B u c h n e r V e rl a g s | |
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