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59Geschichte kontrovers Geschichte kontrovers o Arabische Ärzte und Astrologen am Totenbett des normannischen Königs Wilhelm II. in Palermo. Illuminierte Pergamenthandschrift, 1195/96 (Ausschnitt). Mit Eroberungen im 11. Jh. begann die Herrschaft der Normannen im zuvor byzantinischen Unteritalien und im zuvor muslimischen Sizilien. Das Königreich ging 1198 an den Stauferkönig Heinrich VI. über. Dunkles Mittelalter oder Wissensgesellschaft? Schon die Epochenbezeichnung „Mittelalter“ lässt erkennen, welche unterschiedlichen und konträren Maßstäbe an diesen Zeiträumen angelegt wurden und noch immer werden. Joachim von Fiore sah um 1200 seine Gegenwart als „Mittelalter“ (lat. media aetas). Nach seiner Vorstellung bezeichnete es die Zeit von der Menschwerdung Gottes bis zu dessen Wiederkehr am Jüngsten Tag. Geschichte war dabei christliche Heilsgeschichte, die dem Plan Gottes gehorcht. Demgegenüber verwendeten die Humanisten ab der Mitte des 15. Jahrhunderts den Begriff „Mittelalter“ abschätzig. Denn die habe sich von der Antike mit deren überlegenen Kultur abgewandt. Erst die nun einsetzende Renaissance räume ihr den angemessenen Stellenwert wieder ein und leite deren Wiedergeburt ein, zum Nutzen nicht nur der Gelehrten. Das Etikett „mittelalterlich“ ist noch immer geläufi g, um Denken und Handeln als fortschrittsfeindlich zu brandmarken. In Bezug auf Bildung und Erziehung im Mittelalter stehen immer wieder folgende Fragestellungen im Zentrum: War die führende Rolle der Kirche hinderlich für den Bildungsfortschritt? War der Nutzen durch kulturellen Transfer aus anderen Kulturkreisen höher als durch eigenständige Erkenntnisse? Welche Entwicklungen gab es innerhalb des Mittelalters? Sind mittelalterliche Denkweisen und Erkenntnisse strikt abzugrenzen von denen der Neuzeit oder gibt es Kontinuitäten? M1 „Das entzweite Mittelalter“ Der Historiker Otto Gerhard Oexle analysiert unterschiedliche Sichtweisen auf das Mittelalter und prägt dabei den Begriff „entzweites Mittelalter“. In seinem Essay dazu heißt es unter anderem: Das Mittelalter ist im Denken der Moderne in zweierlei Weise gegenwärtig: in einer positiven und einer negativen Auffassung, in einer positiven und einer negativen Besetzung dieses Begriffes, in Abstoßung und Aneignung, in Verurteilung und Identifi kation zugleich. Beide Auffassungen stehen in einem kontradiktorischen Gegensatz zueinander; sie schließen sich gewissermaßen wechselseitig aus und beziehen sich doch zugleich unausgesetzt aufeinander. […] Die Entstehung der Moderne seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist das Ergebnis der Wirkung konkreter historischer Kräfte und Bewegungen. Die Mittelalter-Deutung wird ein Ort der Refl exion über eben diese Kräfte und Bewegungen. […] Die [Französische] Revolution schob beiseite, was man im 18. Jahrhundert als „Feudalismus“ bezeichnete, nämlich das „mittelalterlich“ empfundene System bäuerlicher Unterdrückung und zersplitterter Staatlichkeit. Die Aufklärung, sich selbst begreifend als den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, verstand sich als die Beseitigung jener von nun an als genuin mittelalterlich geltenden Herrschaft der Religion und ihrer Sachwalter, der Zwänge geistiger Unfreiheit und Unwissenheit. Industrialisierung und Technisierung brachten große ökonomische und soziale Verbesserungen, weil sie den Menschen befreiten 5 10 15 20 Nu r z ur P rü fzw ec ke Ei ge nt m d es C .C . B uc hn er Ve rla gs | |
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